Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

Im Fokus: Interkommunale Kooperation ist deutlich im Kommen – Ergebnisse einer Kommunalbefragung des IWH und der Universität Kassel

Interkommunale Kooperation wird vielfach als ein Mittel angesehen, mit dem speziell Städte und Gemeinden außerhalb der großen Ballungsräume die Folgen des demographischen Wandels und des zunehmenden interregionalen Standortwettbewerbs besser bewältigen könnten. Obschon immer mehr Gemeinden bei ihrer Aufgabenerfüllung zusammenarbeiten, fehlen für Deutschland bislang großflächige empirische Untersuchungen zum Phänomen der interkommunalen Kooperation. Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse aus einer Befragung von 6 745 Gemeinden abseits der großen Ballungsräume zu ihrem Kooperationsverhalten in den Aufgabenbereichen Allgemeine Verwaltung, Bauhof und Tourismusmarketing vor. Die Auswertung der 1 321 Antworten gewährt aktuelle Einblicke in Merkmale und Tendenzen der interkommunalen Zusammenarbeit. Es werden unter anderem Befunde zum räumlichen, zeitlichen und thematischen Auftreten sowie zu den dahinterstehenden Rechtsformen und Motiven vorgestellt. Abschließend wird ein Ausblick auf die Möglichkeiten gegeben, mit den erhobenen Daten die Fragen nach den Wirkungen und den Bedingungen für das Zustandekommen von interkommunaler Kooperation zu beantworten.

29. February 2016

Authors Martin T. W. Rosenfeld Ivo Bischoff C. Bergholz Simon Melch Peter Haug F. Blaeschke

Contents
Page 1
Bislang kaum gesicherte Daten zur interkommunalen Kooperation
Page 2
Kooperation im Bereich Allgemeine Verwaltung besonders häufig All on one page

Vor allem die Städte und Gemeinden abseits der großen Ballungsräume stehen vor großen Herausforde­run­gen. Neben einem zunehmenden interregionalen Wettbewerb um Kapital und hochqualifizierte Ar­beits­­kräfte müssen sie mit den Folgen des demogra­phi­schen Wandels, der Abwanderung junger Familien in die Ballungskerne und einer angespannten Lage ihrer Haushalte fertig werden. Es wird immer schwieriger für sie, die soziale Infrastruktur, ihre ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und eigene politische Handlungsspielräume aufrechtzuerhalten. Seit einigen Jahren wird die interkommunale Zusammenarbeit von Vertretern der Politik- und Verwaltungswissenschaften als eine Möglichkeit favorisiert, diesen Herausforderungen zu begegnen. Einige Landesregierungen fördern die interkommunale Zusammenarbeit mit verschiedenen Maßnahmen, auch weil Kooperationen als Alternative zu politisch heiklen Gemeindegebietsreformen gesehen werden. Das wirft folgende Fragen auf: Inwieweit ist die interkommunale Kooperation ein probates Mittel zur Lösung der oben genannten Probleme? Welche Vor- und Nachteile hat diese Form der Aufgabenerfüllung gegenüber anderen Modi? Wel­che Faktoren fördern oder hemmen das Zustandekommen der interkommunalen Zusammenarbeit?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines gemeinsamen Forschungsprojekts des IWH und der Universität Kassel, das seit dem Herbst 2014 läuft und von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird. Da amtliche Daten zum Umfang und zu den Ausprägungen der interkommunalen Zusammenarbeit weitgehend fehlen, führte das Projektteam hierzu im Sommer 2015 eine bundesweite Befragung sämtlicher Gemeinden außerhalb der großen Ballungsräume in Deutschland durch, auf deren Basis im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts die zuvor genannten Fragen für wich­tige kommunale Aufgabenbereiche beantwortet werden sollen. Das Anliegen des vorliegenden Beitrags besteht darin, mit Hilfe der Befragungsergebnisse den aktuellen Stand der interkommunalen Kooperation in den betrachteten Regionen für die ausgewählten Aufgaben darzustellen. 

Bislang kaum gesicherte Daten zur interkommunalen Kooperation

Unter interkommunalen Kooperationsvorhaben (hier­nach IKV) wird im Folgenden ein institutionelles Ar­­ran­ge­ment verstanden, bei dem zwei oder mehr Ge­mein­den freiwillig und auf eine mittlere bis lange Frist bei ihrer Aufgabenerfüllung zusammenarbeiten. Zumeist finden IKV vor allem zwischen benachbarten Gemeinden statt. Die deutsche Rechtslage erlaubt für IKV unterschiedliche Organisationsformen. Maßgeblich für die Ausgestaltung sind die jeweiligen Landesgesetze. Dabei lassen sich die realisierten Kooperationen nach ihrem Formalisierungsgrad und ihrem Aufgabenspektrum differenzieren.

Um quantitative empirische Untersuchungen zu den eingangs genannten Fragestellungen zu ermöglichen, reichen die vorhandenen Daten der amtlichen Statis­tik nicht aus, denen – wenn überhaupt – in erster Linie Informationen zu den (traditionellen) Kooperationen in der Form so genannter Zweckverbände entnommen werden können. Zweckverbände werden primär in Aufgabenbereichen gegründet, die eine sehr kapital­intensive Produktion erfordern (Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung). Über die – in jüngerer Zeit im Vordergrund stehenden – weniger kapital­intensiven Bereiche liefern die amtlichen Statistiken keine Angaben. Umfassende wissenschaftliche Darstellungen fehlen ebenfalls. In der verwaltungs- und politikwissenschaftlichen Literatur ist immerhin eine beachtliche Anzahl von Fallstudien und Überblicks­artikeln zu den verschiedenen Ausprägungen von IKV entstanden.

Für den Aufbau einer umfassenderen Datenbasis war eine eigene Befragung erforderlich. Weil sich das Forschungsprojekt des IWH und der Universität Kassel wegen des dortigen ausgeprägten demographischen Problemdrucks auf Gemeinden abseits der großen Ballungsräume konzentriert, wurden Großstädte mit mehr als 250 000 Einwohnern sowie alle Gemeinden, die über Pendlerströme eng mit diesen verbunden sind, aus der Untersuchung herausgenommen. Damit verblieben 6 745 Gemeinden (≈ 60% aller deutschen Gemeinden), bestehend aus 41 kreisfreien Städten, 1 818 kreisangehörigen Einheitsgemeinden, 1 148 ver­bands­angehörigen Gemeinden mit potenzieller eige­ner Verwaltungsaktivität und 3 738 verbandsange­höri­­- gen Gemeinden ohne nennenswerte ei­gene Ver­­wal­tungs­aktivität. Verbandsangehörige Ge­mein­den sind selbstständige Mitgliedsgemeinden eines Gemeindeverbands (hier: Verwaltungsgemeinschaft, Amt, Verbandsgemeinde, Samtgemeinde etc.). Demgegenüber versteht man unter Einheitsgemeinden selbstständige Körperschaften, die keine weitere Untergliederung aufweisen und keine Mitgliedsgemeinden eines Gemeindeverbandes sind. Die Befragung konzentrierte sich auf IKV in drei Bereichen: Allgemeine Verwaltung, Bauhof und Tourismusmarketing. Hierbei handelt es sich um eher personalintensive Aufgaben.

Insgesamt haben 1 321 der befragten Gemeinden (19,6%) geantwortet – etwa zu gleichen Teilen online und in Papierform. Bei Einheitsgemeinden lag die Rücklaufquote über 35%, bei den i. d. R. kleineren verbandsangehörigen Gemeinden bei ca. 16%. Die Rücklaufquote nach Bundesländern schwankte er­heb­­lich und lag zwischen knapp 6,6% für Mecklenburg- Vorpommern und 43,1% für Hessen. Insgesamt war die Rücklaufquote in Ostdeutschland mit 13,8% si­gnifikant niedriger als in Westdeutschland (21,9%). Schließt man andere Ursachen für das unterschiedliche Antwortverhalten aus, so deutet dies auf eine weniger ausgeprägte Bereitschaft zu bzw. geringere Notwendigkeit für IKV in Ostdeutschland hin.

Bezogen auf die Grundgesamtheit der 6 745 Städte und Gemeinden lässt sich feststellen, dass die durchschnittliche Einwohnerzahl (Stand: 2013) von 6 293 und auch der Median von 2 748 der antwortenden Gemeinden deutlich über den entsprechenden Werten von 4 546 bzw. 1 468 der Grundgesamtheit liegen. Tendenziell haben also im Vergleich zur Grund­gesamt­heit größere Gemeinden geantwortet, trotz­dem sind es die kleineren Gemeinden, die die Befragung domi­nieren, da bei den antwortenden Gemeinden 75% höchstens 6 488 Einwohner haben.

next page
Kooperation im Bereich Allgemeine Verwaltung besonders häufig

Also in this issue

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

„Challenges for Forecasting – Structural Breaks, Revisions and Measurement Errors” 16th IWH-CIREQ Macroeconometric Workshop

Matthias Wieschemeyer

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

Am 7. und 8. Dezember 2015 fand am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zum 16. Mal der IWH-CIREQ Macroeconometric Workshop statt. Die in Kooperation mit dem Centre interuniversitaire de recherche en économie quantitative (CIREQ), Montréal, durchgeführte Veranstaltung beschäftigte sich dieses Mal mit zentralen Herausforderungen, denen sich die ökonomische Prognose zu stellen hat: Strukturbrüche in den Daten, statistische Revisionen und Fehler bei der Messung wichtiger Indikatoren.

read publication

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

Agrarrohstoffpreise und Lebensmittelpreise in armen Ländern

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

In der Politik und in den Medien wird darüber diskutiert, ob spekulativer Handel mit Agrarrohstoffen den Hunger in der Welt vermehrt. In diesem Aufsatz wird untersucht, in welchem Umfang sich Schwankungen von Agrarrohstoffpreisen auf nationale Verbraucherpreise für Lebensmittel in Indien als einem großen Land mit einem großen Anteil an armen Menschen übertragen. Es wird gezeigt, dass Agrarrohstoffpreisschwankungen mit einem Quartal Verzögerung signifikante Effekte auf die Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel und die Verbraucherpreisinflation insgesamt in Indien haben. Quantitativ bedeutend waren diese Effekte etwa 2007/2008 und 2010/2011. Aufgrund der restriktiven Reaktion der indischen Zentralbank auf einen Anstieg der Verbraucherpreisinflation kommt es zusätzlich zu negativen Auswirkungen auf die Konjunktur. Allerdings sind andere Faktoren für die Schwankungen der Lebensmittelpreise in Indien wesentlich bedeutender.

read publication

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

Aktuelle Trends: Nach Einführung des Mindestlohns: Höherer Stundenlohn, aber geringere Arbeitszeit bei Ungelernten

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

Ein Jahr nach Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro brutto je Stunde ist die Diskussion über die Beschäftigungseffekte dieser Maßnahme in vollem Gange. Die momentan verfügbaren Daten deuten zwar nicht darauf hin, dass Arbeitsplätze in großem Umfang weggefallen sind, aber die wöchentliche Arbeitszeit Ungelernter ist in vom Mindestlohn besonders betroffenen Bundesländern gesunken.

read publication

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

IWH-Bauumfrage im vierten Quartal 2015: Geschäftsaussichten hellen sich in allen Sparten deutlich auf

Brigitte Loose

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

Das Geschäftsklima im ostdeutschen Baugewerbe hat sich laut Umfrage des IWH zum Jahresende verbessert. Die aktuelle Geschäftslage beurteilen die Unternehmen etwas besser als im Quartal zuvor (vgl. Abbildung 1). Hinsichtlich der Geschäftsaussichten für das nächste halbe Jahr sind die Unternehmen sogar erheblich optimistischer. Hier steigt der Saldo aus den positiven und negativen Meldungen der Unternehmen um neun Saldenpunkte (vgl. Tabelle).

read publication

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

IWH-Industrieumfrage im vierten Quartal 2015: Gute Stimmung bei den Unternehmen hält an

Cornelia Lang

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

Das Geschäftsklima im Verarbeitenden Gewerbe Ost­deutschlands hat sich zum Jahresende 2015 weiter erwärmt, wie die Ergebnisse der IWH-Industrieumfrage unter rund 300 Unternehmen zeigen. Die Lage wird per saldo drei Punkte besser als im Vorquartal bewertet, und der Saldo aus positiven und negativen Meldungen über die Geschäftsaussichten steigt um vier Punkte (vgl. Abbildung 1 und Tabelle).

read publication

Cover_Wirtschaft-im_Wandel_2016-1.jpg

Kommentar: Bleibt Sachsen-Anhalt abgehängt?

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, No. 1, 2016

Abstract

Das Hauptthema in den Medien ist zurzeit die Flüchtlingskrise. Im Jahr 2015 sind über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Darüber hinaus gibt es weiterhin Zuwanderung aus ost- und südeuropäischen EU-Ländern nach Deutschland. Bei monatsgenauer Rechnung und unter Berücksichtigung von Fortzügen ergibt sich für das Jahr 2015 eine Nettozuwanderung von 900 000 Personen nach Deutschland. Ohne diese Zuwanderung würde die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Deutschland sinken.

read publication

Whom to contact

For Researchers

For Journalists

Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft LogoTotal-Equality-LogoSupported by the BMWK