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Ostdeutsche Wirtschaft: Rückstand bleibt trotz kräftigem Aufschwung groß, Finanzausgleich fließt auch nach Reform vor allem in den Osten

Ostdeutschland hat vom gegenwärtigen Aufschwung in Deutschland bisher besonders deutlich profitiert. In jedem der Aufschwungsjahre 2014 bis 2016 nahm die gesamtwirtschaftliche Produktion schneller zu als in Westdeutschland; auch für das Jahr 2017 prognostiziert das IWH, dass der Zuwachs der Produktion in Ostdeutschland mit 1,8% etwas höher liegt als in Westdeutschland. Freilich ist auch nach mehr als 25 Jahren Deutscher Einheit in jeder der ostdeutschen Regionen die Produktivität immer noch niedriger als in derjenigen westdeutschen Region mit der geringsten Produktivität. Der größte Teil der Zuweisungen vom Bund wird auch ab dem Jahr 2020, wenn der reformierte Länderfinanzausgleich gilt, in den Osten der Republik fließen. Die Reform des Länderfinanzausgleichs hat dabei nicht zu einer Verbesserung der wirtschaftspolitischen Anreize für die finanzschwachen Bundesländer geführt, was auch dazu beitragen könnte, dass die ökonomische Konvergenz nur schleppend verläuft.

17. August 2017

Authors Martin Altemeyer-Bartscher Gerhard Heimpold Oliver Holtemöller Axel Lindner Mirko Titze

Contents
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Ein besonders kräftiger Aufschwung in Ostdeutschland
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Ist der ostdeutsche Aufschwung ein Strohfeuer?
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Vom West-Ost- zum Süd-Nord-Gefälle? All on one page

Ein besonders kräftiger Aufschwung in Ostdeutschland

Im Sommer 2017 befindet sich die deutsche Wirtschaft im Aufschwung. Das ist schon eine ganze Weile so: Auch in den Jahren 2014 bis 2016 expandierte die Produktion schneller als das Produktionspotenzial. Ostdeutschland hat vom Aufschwung bisher besonders deutlich profitiert.

In jedem der Aufschwungsjahre 2014 bis 2016 nahm die gesamtwirtschaftliche Produktion in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) schneller zu als in Westdeutschland. Im Schnitt lag der Zuwachs bei 2,2%, gegenüber 1,7% im ganzen Land (vgl. Abbildung 1). Auch im Jahr 2017 dürfte der Zuwachs der Produktion in Ostdeutschland mit 1,8% um zwei Zehntel ProzentKonjunktur aktuell — Jg. 5 (3), 2017 Ostdeutsche Wirtschaft
59 punkte höher liegen als in Gesamtdeutschland. Dahinter steht nicht nur der Hauptstadt-Boom. Zwar ist die wirtschaftliche Dynamik in Berlin besonders kräftig, die Produktion hat dort im Schnitt um 2,5% pro Jahr expandiert. Dieser Zuwachs ergibt sich aber auch für Sachsen und Thüringen. Das gute Abschneiden der ostdeutschen Wirtschaft ist deshalb bemerkenswert, weil sie (mit und ohne Berlin) seit 1996 im Schnitt langsamer als in Deutschland insgesamt gewachsen ist. Dass die Wirtschaft in Ostdeutschland seit Ende des Vereinigungs-Booms im Trend langsamer als die des Westens wächst, hat eine Reihe von Gründen. Anders als in den ersten Jahren nach der Vereinigung legt die Sachkapitalausstattung pro Beschäftigten nicht wesentlich schneller zu als in Gesamtdeutschland. Zugleich bewirkten Wanderungen und die natürliche Bevölkerungsbewegung, dass das Erwerbspersonenpotenzial im Osten im Trend um reichlich ½% per annum schrumpft, im Westen dagegen noch leicht zunimmt. In den vergangenen Jahren ist es zu einem starken Zuzug aus dem Ausland nach Deutschland gekommen. Dieser hat an dem Gefälle zwischen West und Ost hinsichtlich der Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials kaum etwas geändert.

Vor allem aber ist der Rückstand bei der Arbeitsproduktivität seit Mitte der 90er Jahre nur sehr langsam geschwunden. Auch dieser Befund lässt sich gut erklären: Produktivitätssteigernde Innovationsaktivitäten finden vorwiegend in den großen Agglomerationszentren statt, und das heißt vor allem in Westdeutschland. Im gegenwärtigen Aufschwung holt Ostdeutschland allerdings auch hinsichtlich der Arbeitsproduktivität etwas schneller auf als zuvor: Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen ist hier in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich um 1½% per annum gestiegen, in Gesamtdeutschland um etwa ¾%.

Der Aufschwung spiegelt sich mit einiger Verzögerung in der Zahl der Erwerbstätigen wider: Sie zieht erst seit der zweiten Jahreshälfte 2015 deutlich an (vgl. Abbildung 2).
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns dürfte die Dynamik der Beschäftigung und damit auch der Erwerbstätigkeit im ersten Halbjahr 2015 in Ostdeutschland geringfügig gedämpft haben. Die Arbeitslosigkeit sinkt dagegen schon seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts stetig (vgl. Abbildung 3). Die verbesserte Arbeitsmarktlage ist wohl ein wichtiger Grund dafür, dass seit dem Jahr 2013 sogar etwas mehr Menschen von West nach Ost wandern als von Ost nach West.

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