Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022: Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust

Die krisenhafte Zuspitzung auf den Gasmärkten belastet die deutsche Wirtschaft schwer. Die stark gestiegenen Gaspreise erhöhen die Energiekosten drastisch und gehen mit einem massiven gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftentzug einher. Trotz eines Rückgangs in der zweiten Jahreshälfte dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,4% ausgeweitet werden. Für das kommende Jahr erwarten die Institute für das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt einen Rückgang um 0,4%, für das Jahr 2024 einen Anstieg um 1,9%.

Autoren Oliver Holtemöller

Die Institute halbieren damit annähernd ihre im Frühjahr aufgestellte Prognose für dieses Jahr. Für das kommende Jahr senken sie ihre Prognose von 3,1% auf ‒0,4%. In dieser Revision zeigt sich das Ausmaß der Energiekrise. So fällt die Wirtschaftsleistung im laufenden und kommenden Jahr insgesamt um 160 Mrd. Euro niedriger aus, als noch im Frühjahr zu erwarten war. Die Inflationsrate dürfte sich in den kommenden Monaten weiter erhöhen. Jahresdurchschnittlich ergibt sich für das Jahr 2023 mit 8,8% eine Teuerungsrate, die nochmals leicht über dem Wert des laufenden Jahres von 8,4% liegt. Erst im Jahr 2024 wird die 2%-Marke allmählich wieder erreicht.

Der Grund für die Verschlechterung der konjunkturellen Aussichten sind vor allem die reduzierten Gaslieferungen aus Russland. Mit ihnen ist ein erheblicher Teil des Gasangebots weggefallen und auch das Risiko gestiegen, dass die verbleibenden Liefer- und Speichermengen im Winter nicht ausreichen werden, um die Nachfrage zu decken. Vor diesem Hintergrund sind die Gaspreise in den Sommermonaten in die Höhe geschossen. Die Unternehmen haben bereits damit begonnen, ihren Gasverbrauch spürbar einzuschränken. Auch wenn die Institute für den kommenden Winter bei normalen Witterungsbedingungen mit keiner Gasmangellage rechnen, bleibt die Versorgungslage äußerst angespannt. Mittelfristig dürfte sich die Lage zwar etwas entspannen, dennoch dürften die Gaspreise deutlich über Vorkrisenniveau liegen. Dies bedeutet für Deutschland einen permanenten Wohlstandsverlust.

Vom Arbeitsmarkt geht eine stabilisierende Wirkung aus. Zwar dürfte die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften angesichts der konjunkturellen Schwächephase zurückgehen. Die Unternehmen werden aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen aber bestrebt sein, den vorhandenen Personalbestand zu halten, sodass die Erwerbstätigkeit nur vorübergehend geringfügig sinken dürfte.

„Der russische Angriff auf die Ukraine und die daraus resultierende Krise auf den Energiemärkten führen zu einem spürbaren Einbruch der deutschen Wirtschaft“, sagt Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Sprecher der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. „Die hohen Energie- und Lebensmittelpreise, die im kommenden Jahr weiter ansteigen dürften, sorgen für deutliche Kaufkraftverluste. Sowohl einkommensschwache Haushalte als auch Unternehmen sind deshalb auf weitere Unterstützung der Politik angewiesen. Bei den Unternehmen ist allerdings darauf zu achten, dass es nicht zu dauerhaften Subventionen kommt. Immerhin zeigt sich der Arbeitsmarkt stabil, aufgrund des Personalmangels in vielen Branchen ist trotz der Wirtschaftskrise keine erhöhte Arbeitslosigkeit zu erwarten.“

Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom ifo Institut in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.

Die Langfassung des Gutachtens ist am 29. September 2022 ab 10:00 Uhr unter www.gemeinschaftsdiagnose.de/category/gutachten/ abrufbar.

Über die Gemeinschaftsdiagnose
Die Gemeinschaftsdiagnose wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt.Am Herbstgutachten 2022 haben mitgewirkt:

  • ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. in Kooperation mit Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
  • Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)
  • Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
  • RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien Wien

Wissenschaftliche Ansprechpartner

Professor Dr. Torsten Schmidt
RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Tel +49 201 8149 287
Torsten.Schmidt@rwi-essen.de

Professor Dr. Oliver Holtemöller
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
Tel +49 345 7753 800
Oliver.Holtemoeller@iwh-halle.de

Professor Dr. Stefan Kooths
Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)
Tel +49 431 8814 579 oder +49 30 2067 9664
Stefan.Kooths@ifw-kiel.de

Professor Dr. Timo Wollmershäuser
ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.
Tel +49 89 9224 1406
Wollmershaeuser@ifo.de

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Zugehörige Publikationen

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Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose

in: Dienstleistungsauftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, 2, 2022

Abstract

Die krisenhafte Zuspitzung auf den Gasmärkten belastet die deutsche Wirtschaft schwer. Durch die reduzierten Gaslieferungen aus Russland ist ein erheblicher Teil des Angebots weggefallen und auch das Risiko gestiegen, dass die verbleibenden Liefer- und Speichermengen im Winter nicht ausreichen, um die Nachfrage zu decken. Die Gaspreise sind in den Sommermonaten in die Höhe geschossen, und auch auf den Terminmärkten zeigen sich für einen längeren Zeitraum deutlich höhere Notierungen. Die dadurch stark steigenden Verbraucherpreise schmälern insbesondere die Kaufkraft der privaten Haushalte. Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal bereits leicht gesunken sein. Im Winterhalbjahr ist ein deutlicher Rückgang zu erwarten. Dass dieser nicht noch kräftiger ausfällt, ist dem hohen Auftragspolster im Verarbeitenden Gewerbe zu verdanken. Insgesamt dürfte die Produktion in diesem Jahr trotz des Rückgangs in der zweiten Jahreshälfte um 1,4% ausgeweitet werden. Damit halbieren die Institute ihre Prognose vom Frühjahr für dieses Jahr annähernd. Für das kommende Jahr ist zu erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt um 0,4% zurückgeht. Im Frühjahr erwarteten die Institute noch einen Anstieg von 3,1%. In dieser Revision zeigt sich das Ausmaß der Energiekrise. Im Jahr 2024 expandiert das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt mit 1,9%. Die Inflationsrate dürfte sich in den kommenden Monaten weiter erhöhen. Jahresdurchschnittlich ergibt sich für das Jahr 2023 mit 8,8% eine Teuerungsrate, die leicht über dem Wert des laufenden Jahres (8,4%) liegt. Erst im Jahr 2024 wird die 2%-Marke allmählich wieder erreicht.

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