EZB-Staatsanleihekäufe: Langfristig sehr riskant – aber angesichts der akuten Gefahren für die Preisstabilität vertretbar

Die Europäische Zentralbank hat sich für den Kauf von Staatsanleihen in großem Umfang entschieden. Durch den damit verbundenen Rückgang der Umlaufsrendite von Staatsanleihen ist es wahrscheinlich, dass auch die Unternehmenszinsen gesenkt werden können. Dadurch würden mehr realwirtschaftliche Projekte rentabel und die Unternehmensinvestitionen zunehmen. Käufe von Staatsanleihen durch die Notenbank bringen zwar erhebliche Risiken mit sich, sind aber mit Blick auf die akuten Gefahren für die Geldpolitik vertretbar.

Autoren Reint E. Gropp ; Oliver Holtemöller

Die Inflationsrate im Euroraum liegt seit einiger Zeit unter der mittelfristigen Zielinflationsrate der EZB. Kurzfristige Abweichungen von dieser Rate sind geldpolitisch akzeptabel, solange die mittelfristigen Inflationserwartungen fest in Höhe der Zielinflationsrate verankert sind. Dies gilt insbesondere, wenn die Abweichung durch Ölpreisschwankungen mit hervorgerufen wird, wie es im Moment der Fall ist. In den vergangenen Wochen sind jedoch auch die mittelfristigen Inflationserwartungen deutlich gesunken. Für den Fünfjahreshorizont liegen die aus Finanzmarktpreisen abgeleiteten Inflationserwartungen nur noch bei einem halben Prozent. Dass die Geldpolitik auf den Rückgang der Inflationserwartungen mit einer weiteren Lockerung reagiert, um eine mittelfristige Verletzung des Preisstabilitätsziels zu verhindern, ist daher geboten.

Das Standardinstrument der Geldpolitik, der kurzfristige Geldmarktzins, steht aufgrund der Nullzinsschranke gegenwärtig nicht zur Verfügung, und die geldpolitische Transmission ist gestört. Die Niedrigzinspolitik der EZB kommt bei den Unternehmen im Euroraum nicht an: Der Abstand zwischen dem Geldmarktzins und den Zinsen für Unternehmenskredite ist deutlich höher als vor der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum. Hinzu kommt, dass die realen Zinsen zuletzt tendenziell gestiegen sind, weil der Rückgang der erwarteten Inflationsrate nicht mit einem ebensolchen Rückgang der Nominalzinsen einhergeht. Die Geldpolitik sollte somit auf unkonventionelle Weise die Realzinsen für private Haushalte und Unternehmen senken. Anders als im angelsächsischen Raum gibt es im Euroraum keinen breiten Markt für Unternehmensanleihen, sodass die direkte Beeinflussung der Unternehmenszinsen durch den Kauf von Unternehmensanleihen kaum möglich ist. Seit dem Ausbruch der Krise im Euroraum besteht zudem ein systematischer Zusammenhang zwischen den länderspezifischen Unternehmenszinsen und Staatsanleiherenditen.

Allerdings ist die Maßnahme mit signifikanten Risiken behaftet. Die Verschuldungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte nehmen durch den Kauf von Staatsanleihen zu, auch wenn die Notenbank die Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt erwirbt und nicht direkt vom Staat. Es wird somit wahrscheinlicher, dass die öffentliche Verschuldung in einigen Ländern des Euroraums auf hohem Niveau weiter zunimmt und dadurch nicht mehr tragbar wird – zumal gleichzeitig die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Brüssel aufgeweicht werden. Es käme dann entweder zu einem Staatsbankrott oder zu einer Entwertung der öffentlichen Schulden durch eine höhere Inflation. Mit anderen Worten: Die Geldpolitik könnte durch den Kauf von Staatsanleihen die Fähigkeit, Preisstabilität zu gewährleisten, mittelfristig verlieren. Dieses Risiko sollte nur eingegangen werden, wenn die akute Gefährdung der Stabilität im Euroraum die langfristigen Nachteile überwiegt. Dies ist letztlich eine politische Abwägung – ökonomische Gewissheit darüber gibt es nicht.

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