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Das Forschungsdesign
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Verhaltensänderungen könnten langfristig bestehen bleiben
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Verhaltensänderungen könnten langfristig bestehen bleiben

Die Studie offenbart einen kausalen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen sozialen Isolation, die in der Zeit der Pandemie erlebt wurde, und egoistischem Verhalten in einer zwar experimentellen Allokationssituation, aber mit realen Auszahlungen. Es ist wichtig zu beachten, dass beide Experimente Ende Mai 2021 stattfanden, in einer Region mit schnell sinkenden COVID-19-Inzidenzen und der vorzeitigen Aufhebung der Bundesnotbremse.5 Selbst nach der Lockerung der sozialen Distanzierungsregeln und der Wiedereröffnung von Geschäften, Restaurants und ersten kulturellen Stätten sowie dem damit einhergehenden Optimismus fanden wir einen negativen Effekt der sozialen Isolierung auf prosoziales Verhalten. Dies deutet darauf hin, dass die vorliegenden Verhaltensveränderungen längerfristig bestehen bleiben könnten.

Positiv betrachtet bleiben allerdings selbst nach einer langfristigen sozialen Isolation von etwa einem halben Jahr die grundlegenden Normen verinnerlicht. Zwar nimmt normverletzendes Verhalten zu, es wird aber weiterhin als sozial unangemessen betrachtet. Die vorliegende Studie unterstreicht zudem den Stellenwert, den das Herausstellen von vorbild- lichem Verhalten ‒ wie beispielsweise ehrenamtlicher Arbeit ‒ haben könnte. Die weniger offensichtlichen Verhaltensschäden, die durch soziale Distanzierung in Krisenzeiten verursacht werden, könnten somit abgefedert werden. Allerdings dürfte dies nur gelingen, solange die Abnahme der Bereitschaft zur Einhaltung sozialer Normen noch nicht weitreichend wahrnehmbar ist. Bicchieri et al. haben beispielsweise nachgewiesen, dass beobachtete Normverstöße einen viel stärkeren Effekt auf die individuelle Regelbefolgungsbereitschaft haben als die beobachtete Einhaltung von Normen.6 Mit anderen Worten: Wenn Menschen beobachten, dass andere die Regeln brechen, sind sie eher bereit, sie selbst ebenso zu brechen.

Natürlich stellt der Lockdown eine absolute Ausnahmesituation dar, nichtsdestotrotz sollten unsere Ergebnisse auch in einer Welt nach der Corona-Krise nicht an Relevanz verlieren. Da soziale Interaktionen zunehmend durch die Digitalisierung geprägt werden, ist es wahrscheinlich, dass sich persönliche Interaktionen auf einem niedrigeren Niveau als vor der Pandemie einpendeln werden. Die tägliche Zeit, die beispielsweise in sozialen Netzwerken verbracht wurde, ist auch ohne Pandemie von 90 Minuten im Jahr 2012 auf 145 Minuten im Jahr 2019 gestiegen.7 Ebenso werden die vielerorts eingeführten Home-Office-Regelungen nicht wieder gänzlich verschwinden. Verschiedene Firmen, unter anderem das Softwareunternehmen SAP, haben ihren Mitarbeitenden bereits angekündigt, den Arbeitsort künftig frei bestimmen zu können.8

Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere gesellschaftliche Normen

Künftig müsste man selbstverständlich noch der Frage nachgehen, inwiefern unsere Ergebnisse auf andere Normen, wie beispielsweise die der bedingten Kooperation, übertragbar sind. Kimbrough und Vostroknutov haben aber beobachtet, dass sich die Präferenz für die Befolgung von Normen von einem Kontext auf einen anderen, nicht verwandten Kontext überträgt,9 was durch unsere eigenen Daten gestützt wird: Die Teilnehmenden, die angegeben hatten, sich weitestgehend an die sozialen Distanzierungsregeln zu halten, nahmen der Wohltätigkeitsorganisation durchschnittlich ungefähr 1,30 Euro weniger weg als diejenigen, denen die Distanzierungsregeln weniger befolgungswürdig erschienen. Ähnliches finden auch Müller und Rau, in deren Umfragedaten sozial verantwortliches Verhalten vor der Pandemie positiv mit der Einhaltung der Distanzierungsregeln korreliert.10 Daher ist die Übertragbarkeit unserer Ergebnisse auf andere Rahmenbedingungen und Normen durchaus denkbar.

Noch wichtiger wäre dementsprechend wohl zu untersuchen, wie viel persönliche Interaktion notwendig ist, um die drohenden Verhaltensschäden durch (wahrgenommene) soziale Isolation zu verhindern. Selbst kleinere Normverstöße könnten sich zu einem signifikanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden aufsummieren, wenn man bedenkt, in wie vielen verschiedenen Bereichen soziale Normen unser alltägliches Verhalten beeinflussen. Guiso et al. argumentieren sogar, dass informelle Regeln (also unter anderem auch soziale Normen) für den nationalen Wohlstand mindestens genauso wichtig sind wie formale Regeln und Gesetze.11

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