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Regionale Wachstums- und Beschäftigungseffekte professioneller Fußballvereine – Eine europäische Analyse

Steigt ein Fußballverein ab, leiden die Fans. Leidet auch die Region? Der Beitrag nutzt abstiegsbedingte Änderungen in der räumlichen Verteilung der Vereine in vier großen europäischen Profifußballligen, um den kausalen Effekt des Abstiegs eines Erstligavereins auf das regionale Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum zu testen. Die Ergebnisse zeigen signifikant negative kurzfristige Effekte eines Abstiegs auf die Entwicklung der regionalen Beschäftigung und der Bruttowertschöpfung in sportbezogenen Wirtschaftszweigen. Darüber hinaus finden sich negative Auswirkungen auf das gesamte regionale Beschäftigungswachstum.

13. Dezember 2018

Autoren Matthias Brachert

Jedes Jahr im Mai zieht ein Gespenst durch Europa – das Abstiegsgespenst. Ob nun in Hamburg und Köln im Jahr 2018 oder in Ingolstadt und Darmstadt im Vorjahr, stets produziert der Modus des europäischen Ligenmodells Entscheidungen, bei denen sich für einige Vereine durchaus erst an den letzten Spieltagen entscheidet, ob sie ihrer Liga in der nächsten Saison noch angehören. Dabei ist bemerkenswert, dass viele dieser Vereine nach Punkten und Toren gemessen über Monate oftmals fast identische Leistungen erbracht haben. So waren beispielsweise vor dem finalen Spieltag der Bundesligasaison 1998/1999 noch insgesamt fünf Mannschaften abstiegsgefährdet: der 1. FC Nürnberg, der VfB Stuttgart, der SC Freiburg, Hansa Rostock und die Eintracht aus Frankfurt.

Während die Dramatik der Abstiegsentscheidung den Fans aus ökonomischer Perspektive einen Nutzen stiftet1 und sie ins Stadion, vor den Bildschirm oder das Radio zieht, sind mit dem Abstieg selbst oftmals deutlich negative wirtschaftliche Konsequenzen für alle beteiligten Akteure verbunden. Die Ursache hierfür liegt darin, dass mit dem Abstieg eine Verringerung der Qualität der dargebotenen Leistung bzw. der Wettbewerber einhergeht.2 Konsumenten von Sportveranstaltungen sind jedoch durch ihre Präferenz für die Darbietung außergewöhnlichen Talents charakterisiert.3 Kommt es zu einem Abstieg, sinkt folglich die Nachfrage nach fußballerischen Darbietungen.

Dieser Effekt wird aktuell zudem durch die steigende Kommerzialisierung des Profifußballs in Europa mit Fokus auf die jeweilige höchste nationale Liga verstärkt. So bezieht beispielsweise ein Bundesligaverein in der Saison 2018/2019 im Durchschnitt rund 47,3 Mio. Euro an Fernsehgeldern. In der zweiten Bundesliga beträgt dieser Wert nur noch durchschnittlich 11,5 Mio. Euro.4

Dementsprechend stellt ein Abstieg einen bedeutenden wirtschaftlichen Schock dar, der sich auf vielfältige Art äußert. Zunächst betrifft er die Arbeitsmarktperspektiven (Gehälter etc.) der betroffenen Fußballer, die wirtschaftliche Entwicklung der absteigenden Clubs und ihrer Mitarbeiter (Einkommensverluste bei TV- und Sponsorenverträgen und infolge sinkender Zuschauerzahlen). Darüber hinaus verdüstern sich auch die wirtschaftlichen Perspektiven der die Clubs umgebenden regionalen Akteure in fußballnahen Branchen. Auch diese erfahren einen Rückgang der Nachfrage, etwa durch sinkende Zuschauerzahlen bei den jeweiligen Stadionbesuchen, ausbleibende Übernachtungen und wegfallende Ausgaben auswärtiger Fans außerhalb des Stadions oder durch eine generelle Umschichtung des Konsums der Fußballfans. Die regionale Dimension ist vor allem deshalb besonders ausgeprägt, da das Faninteresse eine deutliche räumliche Konzentration aufweist.5

Identifikation regionaler Effekte des Abstiegs eines Erstligavereins

Im Fokus dieses Beitrags steht die Messung der regionalwirtschaftlichen Effekte eines Abstiegs. In der zugrunde liegenden Studie6 wurden sowohl die Dramatik der Abstiegssituation als auch die abstiegsbedingten Änderungen der räumlichen Verteilung der Vereine in vier großen europäischen Profifußballligen genutzt, um die regionalwirtschaftlichen Effekte der Vereine zu messen. Die analysierten Beobachtungen umfassen alle Regionen, in denen im Zeitraum von 1995 bis 2011 Clubs der britischen Premier League, der Bundesliga, der italienischen Serie A oder der französischen Ligue 1 beheimatet waren.7

Zur Messung der Effekte eines Abstiegs werden zunächst die Zuschauerdaten der öffentlich zugänglichen Website http://www.european-football-statistics.co.uk/ ausgewertet. Regionalwirtschaftliche Effekte werden mit Hilfe der European Regional Database von Cambridge Econometrics8 bestimmt. Diese enthält europaweit vergleichbare Informationen zu wirtschaftlichen Kennzahlen auf Ebene der NUTS3-Regionen.9 Mit Hilfe des Standorts des Vereins werden alle Informationen kombiniert.

Die Mehrheit der existierenden Studien zum Thema nutzt bisher zur Messung der regionalen Auswirkungen von Proficlubs vorwiegend panelökonometrische Verfahren bzw Ereignisse wie Spielerstreiks oder Standortverlagerungen von Teams.10 Hier können jedoch Endogenitätsprobleme auftreten. Beispielsweise kann ein sportlicher Abstieg die Folge der wirtschaftlichen Schwäche der Region bzw. regionaler Sponsoren sein (man vergleiche etwa die Regionen München und Cottbus). Eine weitere Verzerrungsmöglichkeit besteht in der Antizipation des Abstiegs durch die regionalen Akteure.11 Um der Gefahr zu entgehen, Ursache und Wirkung zu verwechseln, d. h. negative regionale Effekte zu schätzen, die in Wirklichkeit gar nicht Folge, sondern Ursache des Abstiegs sind, wird ein Regressions-Diskontinuitäts-Design verwendet.12

Die Grundidee dieses statistischen Verfahrens ist es, einen Bruch in einer beobachtbaren Kontrollvariable zu finden, die einen Einfluss darauf hat, ob eine Beobachtung (hier eine Region) ein Treatment erhält oder nicht. In unserem Fall ist das Treatment der Abstieg eines Vereins in einer Region. Die beobachtbare Kontrollvariable ist die Differenz in der Anzahl an Punkten eines Vereins zum ersten Nichtabstiegsplatz der jeweiligen Liga. Da sich diese Differenz auch in den letzten Minuten des letzten Spieltags einer Saison noch ändern kann, produzieren knappe Abstiegsentscheidungen Situationen, in denen die wirtschaftliche Lage der Region unabhängig vom Treatment – das heißt exogen – ist und eine konsistente Schätzung des Effekts des Abstiegs auf die regionale Entwicklung möglich wird.

Wir vergleichen demnach die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen, welche knapp einem Abstieg ihres Erstligisten entgangen sind, mit der von Regionen, die knapp einen Abstieg erlitten haben. Zur Messung der Höhe der Effekte nutzen wir die durchschnittliche Entwicklung der Beschäftigung und Bruttower schöpfung im Zeitraum zwischen dem Beginn einer möglichen Abstiegssaison und den beiden nachfolgenden Jahren. Steigt ein Club im Jahr 2006 ab, betrachten wir die durchschnittliche Entwicklung der Ergebnisgrößen der Region zwischen den Jahren 2005 und 2007.13

Das Ausmaß regionaler Effekte eines Abstiegs

Begonnen wird die Analyse der Ergebnisse mit dem Indikator, der den zentralen Kanal zur Übertragung des Effekts eines Abstiegs auf das regionale (sektorale) Wachstum darstellt – der Nachfrage nach Stadionbesuchen. Die ökonomische Theorie legt nahe, dass die Kartennachfrage sich aus den Standardannahmen bezüglich der Konsumentscheidung ableiten lässt. Danach ist zu erwarten, dass der Abstieg, da er mit einer Verringerung der Qualität des Spiels einhergeht, die Nachfrage sinken lässt. Abbildung 1 verdeutlicht zunächst den Zusammenhang zwischen der relativen Veränderung der Kartennachfrage und der Distanz zum ersten Nichtabstiegsplatz. Sie zeigt einen klaren Rückgang der Nachfrage nach Stadionbesuchen bei Vereinen, die einen Abstieg erlitten haben (sich also links der orangen Linie befinden). Diese Darstellung wird durch die ökonometrischen Schätzungen bestätigt. Obwohl die Vereine um die Abstiegsränge in der laufenden Abstiegssaison keine Unterschiede in der Kartennachfrage aufweisen,14 sehen sich abgestiegene Clubs in der darauffolgenden Saison mit rund 29% weniger Besuchern pro Heimspiel (minus 4 500 Besucher in absoluten Werten) konfrontiert. Der Abstieg bewirkt folglich einen dauerhaften Nachfragerückgang nach fußballbezogenen Aktivitäten während der folgenden Saison. Dies betrifft sowohl Leistungen, die im Stadion selbst angeboten werden, als auch Leistungen, die im Zusammenhang eines Stadionbesuchs außerhalb konsumiert werden (etwa im Bereich des Einzelhandels oder des Gastgewerbes).

Im nächsten Schritt analysieren wir die sektoralen Auswirkungen eines Abstiegs in der Region. Die Cambridge-Econometrics-Daten liefern Informationen zur Anzahl der Beschäftigten und der Bruttowertschöpfung im Aggregat der Sektoren Handel, Gastronomie und Beherbergungen sowie Transport.

Diese Sektoren weisen direkte Bezüge zu Fußballaktivitäten bzw. Sportgroßveranstaltungen auf. Wir folgen Fedderson und Maennig,15 die zeigen, dass die Effekte von Sportgroßveranstaltungen überwiegend zeitlich begrenzt, außerdem räumlich sowie sektoral konzentriert auftreten. Die Analyse der Effekte eines Abstiegs bestätigt dieses Ergebnis. Die Abbildungen 2 und 3 verdeutlichen Unterschiede in der sektoralen Entwicklung der Beschäftigung (Abbildung 2) und der Bruttowertschöpfung (Abbildung 3) in fußballrelevanten Sektoren in den beiden Jahren nach Abstieg eines Vereins aus der ersten Liga. Die Effekte fallen mit durchschnittlich –2,7% (sektorale Beschäftigung) und –3,0% (sektorale Bruttowertschöpfung) deutlich negativ aus.

Abbildung 4 geht über die Betrachtung sektoraler Effekte hinaus und überprüft die Existenz gesamtregionaler Beschäftigungseffekte. Die Hypothese ist hier die oftmals vorzufindende Aussage, dass insbesondere in kleineren Regionen von Fußballbundesligisten auch regionale Entwicklungsimpulse ausgehen können. Abbildung 4 verdeutlicht, dass dies zumindest für kurzfristige regionale Beschäftigungseffekte zutrifft. So finden sich im Rahmen der Analyse negative Effekte in Höhe von 1,3%. Negative Effekte auf die gesamte regionale Bruttowertschöpfung lassen sich jedoch nicht nachweisen.

Abstieg trübt regionale Entwicklung – sektorale Effekte dominieren

Die Ergebnisse zeigen, dass professionelle Sportvereine bzw. Sportgroßveranstaltungen durchaus in der Lage sind, regionale Entwicklungsimpulse auszuüben. Heutige Profifußballclubs stellen zunehmend mittlere bis große Unternehmen dar, deren Bedeutung für Regionen in Anbetracht der weiter ansteigenden Finanzströme im Profifußballbereich zunehmen dürfte. Der durch den Profisport induzierte regionale Effekt stellt sich jedoch primär in mit dem Fußball verbundenen Wirtschaftszweigen ein. Dabei ist zu beachten, dass die Produktivität der in den Regionen durch den Sport geschaffenen oder im Fall des Abstiegs vom Verlust bedrohten Arbeitsplätze oftmals niedrig ausfällt. Dies sollte in Strategien zur sportinduzierten Entwicklung (z. B. für diverse Sportstädte in Deutschland) Beachtung finden, um ungewollte Nebeneffekte zu vermeiden.

Endnoten

1 Vgl. Neale, W.: The Peculiar Economics of Professional Sports: A Contribution to the Theory of the Firm in Sporting Competition and in Market Competition, in: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 78 (1), 1964, 1–14.

2 Vgl. Szymanski, S.; Valletti, T. M.: Promotion and Relegation in Sporting Contests, in: Rivista di Politica Economica, Vol. 95 (3), 2006, 3–39.

3 Vgl. Rosen, S.: The Economics of Superstars, in: American Economic Review, Vol. 71 (5), 1981, 845–858.

4 Vgl. die Website www.fernsehgelder.de.

5 Vgl. Borland, J.; MacDonald, R.: Demand for Sports, in: Oxford Review of Economic Policy, Vol. 19 (4), 2003, 478–502.

6 Brachert, M.: The Regional Effects of Professional Sports Franchises – Causal Evidence from Four European Football Leagues. IWH-Diskussionspapiere 10/2018. Halle (Saale) 2018.

7 Alle betrachteten Ligen besitzen Abstiegsregelungen. Das Vorgehen führt zu 1202 Beobachtungen (Regionen mit Erstligaclub(s) in einem bestimmten Jahr) und 218 Abstiegen. Im Beobachtungszeitraum finden sich insgesamt 151 Clubs in 128 NUTS3-Regionen. Von den Regionen erfuhren 23 keinen Abstieg. 43 erlebten einen Abstieg, 36 Regionen zwei, 12 Regionen drei und 14 Regionen mehr als drei Abstiege.

8 Vgl. https://www.camecon.com/european-regional-data/.

9 In Deutschland entspricht dies der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte.

10 Vgl. Simmons, R.: The Demand for English League Football: A Club-level Analysis, in: Applied Economics, Vol. 28 (2), 1996, 139–155. Coates, D.; Humphreys, B. R.: The Economic Consequences of Professional Sports Strikes and Lockouts, in: Southern Economic Journal, Vol. 67 (3), 2001, 737–747.

11 Siehe etwa AC Arles-Avignon in der Saison 2010/2011, AFC Sunderland 2002/2003, Derby County 2007/2008 oder auch FBC Unione Venezia in der Saison 2001/2002.

12 Vgl. Lee, D. S.; Lemieux, T.: Regression Discontinuity Design in Economics, in: Journal of Economic Literature, Vol. 48 (2), 2010, 281–355.

13 Die Daten mehrerer Jahre werden aggregiert.

14 Vgl. Brachert, M., a. a. O.

15 Vgl. Feddersen, A.; Maennig, W.: Sectoral Labour Market Effects of the 2006 FIFA World Cup, in: Labour Economics, Vol. 19 (6), 2012, 860–869, und dieselben: Mega-Events and Sectoral Employment: The Case of the 1996 Olympic Games, in: Contemporary Economic Policy, Vol. 31 (3), 2013, 580–603.

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