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Der Arbeitsmarkt zeigt sich gegenüber den aus dem Krieg in der Ukraine resultierenden Belastungen für die Konjunkturrobust, weil die verzögerte Erholung der Produktion im Wesentlichen über die Arbeitszeit abgefangen werden dürfte. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt im Prognosezeitraum weiter, wenngleich mit schwächer werdender Dynamik. Hierzu trägt auch die sprunghafte Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro in diesem Jahr bei. Aufgrund der Alterung ist gegen Ende des Prognosezeitraums eine Verlangsamung des Beschäftigungsaufbaus angelegt. Dem wirkt allerdings die hier unterstellte Fluchtmigration aus der Ukraine entgegen, die das Arbeitskräfteangebot etwas erhöht. Die Arbeitslosenquote sinkt nach 5,7% im Vorjahr auf 5,0% in beiden Prognosejahren. Die Nominallöhne beschleunigen sich spürbar, werden einen Kaufkraftverlust der Arbeitnehmer im Prognosezeitraum aber nicht gänzlich verhindern können.

Im laufenden Jahr dürften die öffentlichen Haushalte mit 52 Mrd. Euro ein deutlich geringeres Defizit aufweisen als im Vorjahr (132 Mrd. Euro). Maßgeblich trägt dazu ein nur geringer Anstieg der Staatsausgaben im Zuge des Auslaufens pandemiebezogener Unternehmenshilfen bei. Gleichzeitig steigen die Staatseinnahmen im Zuge der wirtschaftlichen Erholung. Im Jahr 2023 dürften die Einnahmen mit dem kräftigen Lohnanstieg und dem robusten Arbeitsmarkt erheblich stärker als die Ausgaben steigen, sodass sich das Defizit auf knapp 28 Mrd. Euro bzw. 0,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt verringert. Hierbei ist unterstellt, dass die Mittel aus den kreditfinanzierten Sondervermögen, die hauptsächlich für den Klimaschutz und die Verteidigung vorgesehen sind, im Prognosezeitraum nur in geringem Umfang abfließen werden.

Das mit Abstand größte Risiko für die Prognose rührt vom Kriegsgeschehen in der Ukraine her, dessen weiterer Verlauf und politische Folgen ungewiss sind. Von der Frage, ob – und falls ja, wann – die Situation weiter eskaliert oder es zu einer Befriedung kommt, hängen insbesondere die Rohstoffpreisentwicklung, das Ausmaß der Lieferengpässe, das Sanktionsregime sowie die Fluchtbewegung ab. Die Institute nehmen an, dass die bislang verhängten Sanktionen während des gesamten Prognosezeitraums in Kraft bleiben und die russischen Energielieferungen fortgesetzt werden. Weil aber eine Lieferunterbrechung drohen könnte, dürften entsprechende Risikozuschläge und höhere Kosten für das parallel vorangetriebene Ausweichen auf alternative Lieferquellen (z. B. vermehrter Einsatz von Flüssiggas) die Energiepreise deutlich über dem Niveau halten, das ohne den Konflikt gelten würde. Jede weitere Zuspitzung dürfte unmittelbar auf die Risikoeinschätzung und somit auf wichtige Rohstoffnotierungen durchschlagen. Umgekehrt würde eine Entspannung wirken. Rohstoffpreissprünge können bei Friktionen im Überwälzungsprozess kurzfristig realwirtschaftliche Aktivität zusätzlich behindern.

Naturgemäß hängen auch die Fluchtbewegungen stark von der weiteren militärischen und politischen Entwicklung in der Ukraine ab. Je länger der Krieg andauert, desto mehr Menschen werden im Westen Schutz suchen. Sollte es hingegen zu einer Befriedung kommen, wird es vor allem von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen abhängen, wie viele Menschen in ihre Heimat zurückkehren werden. Dieser Prognose legen die Institute die Setzung zugrunde, dass in diesem Jahr 600 000 und im kommenden Jahr weitere 140 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, von denen rund ein Drittel das Arbeitskräftepotenzial erhöht, allerdings erst nach und nach auf dem Arbeitsmarkt Fuß fasst.

Im Basisszenario lässt die Inflationsdynamik zusammen mit den Preisen an den weltweiten Märkten für Energierohstoffe im Verlauf wieder nach. Es besteht allerdings angesichts von erheblichen Arbeitskräfteknappheiten in vielen Branchen und der während der Pandemie aufgestauten Kaufkraft ein erhöhtes Risiko, dass sich die Inflation stärker verfestigt und die Inflationserwartungen weiter nach oben treibt. So könnten Unternehmen ihre Preissetzungsspielräume in stärkerem Maße nutzen und darüber hinaus versucht sein, Mitarbeiter durch höhere Löhne an das Unternehmen zu binden und die Kosten an die Verbraucher weiterzureichen.

Schließlich bergen mögliche neue Virusvarianten und damit verbundene Pandemiewellen weiterhin Abwärtsrisiken. In einem solchen Fall wäre mit Aktivitätseinbußen in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen und – bei Arbeitsausfällen infolge von Krankheit und Quarantäne – auch darüber hinaus zu rechnen. Ferner besteht ein erhöhtes Risiko für die internationalen Lieferketten dadurch, dass in anderen Weltregionen (insbesondere in China) die Pandemiepolitik stärker auf die Produktion durchschlägt, weil es dort weiterhin zu größeren Lockdown-Maßnahmen kommt.

Die konjunkturellen Folgen eines sofortigen Embargos von Erdöl und Erdgas für die Lieferungen von Russland in die Europäische Union betrachten die Institute in einem Alternativszenario. Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Fall kommendes Jahr in eine scharfe Rezession geraten. Nach einem Dämpfer im Auftaktquartal 2023 bricht das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um fast 5% ein. Eine Erholung im Schlussquartal fängt dies zwar teilweise auf, alles in allem sinkt das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2023 aber um fast 2% – gegenüber einem gut dreiprozentigen Anstieg im Basisszenario. Der kumulierte Verlust an gesamtwirtschaftlicher Produktion dürfte sich bereits in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Mrd. Euro belaufen, was mehr als 6,5% der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Die Verbraucherpreise werden mit 7,3% (2022) und 5% (2023) weitaus stärker steigen als im Basisszenario. Der durch einen Lieferstopp ausgelöste Wirtschaftseinbruch wird bis zum Ende des Prognosezeitraums noch nicht wieder aufgeholt. Im Schlussquartal verbleibt gegenüber dem Basisszenario eine Lücke von gut 4%. Auch ein abermaliger Rückschlag im Winter 2023/2024 ist möglich. In der mittleren Frist dürfte sich die Wirtschaftsleistung jedoch allmählich dem Pfad annähern, der auch für das Basiszenario gilt. Maßgeblich hierfür ist das Produktionspotenzial, das weniger durch die temporäre Gaskrise als vielmehr dadurch beeinträchtigt wird, dass Energie auf absehbare Zeit am Standort Deutschland merklich teurer sein wird, als es sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine darstellte. Denn die Entscheidung, unabhängig von russischen Rohstofflieferungen zu werden, dürfte auch dann noch Bestand haben, wenn sich die militärische und politische Lage wieder beruhigt. Damit muss sich ein Teil der Energieversorgung und der energieintensiven Industrie neu ausrichten.

Die anhaltend hohen Preise für Energie dürften den energiesparenden technischen Fortschritt in den kommenden Jahren deutlich beschleunigen. Dies war auch nach dem Ölpreisschock der 1970er Jahre zu beobachten. Die Ergebnisse im Schwerpunktthema dieses Gutachtens zeigen, dass ein ähnlich starker Technologieschub wie damals erforderlich ist, um die bis zum Jahr 2030 festgelegten Emissionsziele zu erreichen, wenn die ökonomische Aktivität nicht drastisch sinken soll.

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