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Das größte Risiko für die Konjunktur stellt derzeit die Verfügbarkeit von Gas dar. Sollte der Verbrauch in diesem Winter nicht, wie in dieser Prognose unterstellt, ausreichend sinken, käme es zu einer staatlichen Rationierung. In dieser Situation müssten die Unternehmen ihre Produktion zusätzlich einschränken. Auch im darauffolgenden Winter ist eine Gasmangellage nicht auszuschließen. Auf- wie Abwärtsrisiken bestehen dadurch, dass die Gasnachfrage in den Wintermonaten stark von den Temperaturen abhängt. Sollte der kommende Winter deutlich wärmer (kälter) als im Durchschnitt der vergangenen Jahre werden, würde die Gasnachfrage geringer (größer) ausfallen als in dieser Prognose unterstellt. In diesem Fall dürften die Gaspreise schneller (langsamer) zurückgehen und die Wirtschaftsaktivität in geringerem (größerem) Maße dämpfen.

Auch von der Corona-Pandemie geht nach wie vor ein konjunkturelles Risiko aus. Die Infektionszahlen sind weltweit weiterhin hoch. Zwar sind die Krankheitsverläufe bei der derzeit dominierenden Variante vergleichsweise mild. Es besteht aber die Möglichkeit, dass eine neue Variante mit schwereren Verläufen auftritt. In diesem Fall könnte es wieder zu stärkeren Beeinträchtigungen der Wirtschaftsaktivität kommen.

Der Wirtschaftspolitik kann aus ökonomischer Perspektive geraten werden, Maßnahmen an den Ursachen der Probleme auszurichten. Bezogen auf das Gas bedeutet dies, das Angebot durch den Aufbau von LNG-Kapazitäten zu stärken und die Nachfrage zu dämpfen. Die Bundesregierung hat bei der Ausrufung des Notfallplan Gas den Energieversorgern die außerplanmäßige Weitergabe höherer Einkaufspreise an die Verbraucher nicht gestattet. Dadurch wird der Lenkungseffekt des Gaspreisanstiegs verwässert. Die Gasversorger geraten zudem unter Druck, weil die vertraglich vereinbarten Endkundenpreise die Beschaffungskosten bei weitem nicht mehr decken. Die Bundesregierung hat deshalb einzelne Gasversorger mit finanziellen Hilfen gestützt und den größten Importeur verstaatlicht. Außerdem soll zum 1. Oktober 2022 eine Gasumlage eingeführt werden. Damit werden die Zusatzkosten beim Gaseinkauf auf alle Verbraucher verteilt und eine Lenkungswirkung erzielt, die allerdings durch das Absenken des Mehrwertsteuersatzes auf Gas konterkariert wird.

Haushalte mit niedrigen Einkommen, die den Anstieg der Gaspreise nicht aus eigener Kraft stemmen können, sollten gezielt mit monetären Transfers gestützt werden, ohne das Gas selbst zu subventionieren und ohne bürokratische Detailanweisungen zur Reduktion des Gasverbrauchs zu erlassen. Die Entlastungspakete der Bundesregierung enthalten Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen. So ist die Wohngeldreform zu begrüßen. Auch ist es sinnvoll, dass der Bonus pro Kind und die Energiepreispauschale für Arbeitnehmer und Rentner steuerpflichtig sind. Damit fällt die effektive Entlastung bei Haushalten mit höheren Einkommen geringer aus als bei solchen mit niedrigeren.

Bei der finanziellen Unterstützung von Unternehmen wandelt die Wirtschaftspolitik auf einem schmalen Grat. Einerseits ist es Aufgabe der Unternehmen selbst, Puffer für unvorhergesehene Ereignisse anzulegen und nicht mehr rentable Geschäftsmodelle zu reformieren oder aufzugeben. Andererseits sollte ein gleichzeitiger Marktaustritt sehr vieler Unternehmen oder eine Unterbrechung der Produktion kritischer Versorgungsgüter bzw. der dafür erforderlichen Infrastruktur vermieden werden. Befristete allgemeine Unternehmenshilfen und zielgenaue Stützungsmaßnahmen im Einzelfall können daher sinnvoll sein. Angesichts der permanenten Energieverteuerung ist aber darauf zu achten, dass es nicht zu einer dauerhaften Subvention nicht mehr rentabler Unternehmen kommt; Unternehmenshilfen sollten daher degressiv gestaltet werden.

Auf dem Strommarkt stellt sich die Situation etwas anders dar als auf dem Gasmarkt. Primär kommt es darauf an, das Angebot an Strom zu stabilisieren, um dem Preisanstieg entgegenzuwirken. Die vermiedenen Umweltgrenzkosten und Grenzrisiken, die sich aus wenigen zusätzlichen Jahren Atomstromproduktion in Deutschland ergäben, dürften eine Stilllegung der Atomkraftwerke im Krisenwinter 2022/2023 kaum rechtfertigen. Auch der anschließende Winter 2023/2024 wird die deutsche Energiewirtschaft vor immense Herausforderungen stellen. Die Institute empfehlen daher, den Ausstieg aus der Atomenergie um einige Jahre zu verschieben. Dies würde nicht nur die Energieversorgungssicherheit erhöhen, sondern auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Strompreises leisten.

Als Schwerpunktthema aktualisieren die Institute ihre Analyse zu den konjunkturellen Folgen eines Gasmangels in Deutschland. Dazu wird der Einfluss einer Vielzahl von Parametern und deren Kombination simuliert. Auf diese Weise können die Spannbreite möglicher Effekte des russischen Lieferstopps bis zum Jahr 2024 quantifiziert und Risiken abgeschätzt werden. Das erweiterte Simulationsmodell für die Gasverfügbarkeit in Deutschland berücksichtigt neben dem Mindestfüllstand der Gasspeicher neue Erkenntnisse über zusätzliche Gasimportmöglichkeiten, macht Witterungseinflüsse deutlich, verfeinert die kurzfristigen Gaseinsparpotenziale und berücksichtigt die Rückwirkungen zwischen industrieller Aktivität und Gasverfügbarkeit.

In den Jahren 2022 und 2023 kann eine Gasmangellage im Median aller Modellsimulationen vermieden werden. Allerdings besteht ein erhöhtes Risiko, dass es zwischen Januar und März 2024 zu einer Rationierung in der Industrie kommen wird. Eine Gasmangellage ließe sich durch den Weiterbetrieb der aktuell noch laufenden Atomkraftwerke und die volle Auslastung der geplanten LNG-Terminals vermeiden. Eine entscheidende Rolle spielt das Wetter. Für den Fall, dass die kommenden Winter sehr kalt würden, käme es im Median der Simulationen sowohl im Frühjahr 2023 als auch im Winter 2023/2024 zu einer Gasmangellage. Diese könnte verhindert werden, wenn der Gasverbrauch um 20% reduziert und gleichzeitig die Importe (insbesondere über die geplanten LNG-Terminals) erhöht würden.

Sofern solche Einsparungen nicht gelingen, sind gravierende Konsequenzen für die wirtschaftliche Aktivität zu erwarten. In einem Risikoszenario, welches unter anderem einen sehr kalten Winter sowie geringere Gaseinsparungen unterstellt, dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt jeweils zu Jahresbeginn 2023 und 2024 massiv einbrechen. Unter der Annahme, dass der dramatische Einbruch nicht mit einer Welle von Geschäftsschließungen einhergeht, dürfte die Gasmangellage in dem unterstellten Szenario zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung im Jahr 2023 von 7,9% und im Jahr 2024 von 4,2% führen.

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