cover_WiWa_3_2018.jpg

Indirekte Effekte von als unfair wahrgenommenem Arbeitgeberverhalten auf die Produktivität von Beschäftigten

Jede Organisation, die darüber nachdenkt zu restrukturieren, Löhne zu kürzen oder Angestellte zu entlassen, sollte auch über mögliche Reaktionen der persönlich nicht betroffenen Arbeitnehmer nachdenken. Dieser Beitrag präsentiert Ergebnisse eines Feldexperiments. Es offenbart, dass die als unfair wahrgenommene Handlung des Arbeitgebers – in diesem Fall die Entlassung von Arbeitskollegen – die anschließende Produktivität der nicht direkt betroffenen Arbeitskräfte mindert. Als Teil des Experiments antizipierten erfahrene Personalmanager zwar im Durchschnitt erfolgreich die Konsequenzen unfairen Arbeitgeberverhaltens auf nicht betroffene Arbeitnehmer, einzeln lagen sie jedoch oft daneben.

31. Juli 2018

Autoren Sabrina Jeworrek

Gutes Management ist wichtig für den Erfolg und die Profitabilität von Unternehmen: Schon einfache Grundprinzipien wie regelmäßige Wartungsarbeiten, Optimierung des Inventars oder Erfassung von Qualitätsproblemen steigern die  Unternehmensproduktivität beachtlich. [1] Häufig beziehen sich derartige Prinzipien auf die Struktur des Unternehmens, insbesondere auf die Arbeitsabläufe innerhalb des Unternehmens und deren Kontrolle. Aber auch die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Angestellten ist wichtig. Diese wird nicht nur durch monetäre Anreize wie etwa den Lohn bestimmt, sondern auch dadurch, ob sich ein Arbeitnehmer fair behandelt fühlt. [2]
Haben Angestellte den Eindruck, von ihrem Arbeitgeber unfair behandelt zu werden, kann das ihre Arbeitsleistung erheblich mindern. So zeigt beispielsweise eine Studie, dass der Konflikt zwischen dem Baumaschinenhersteller Caterpillar und der Belegschaft in den 1990er Jahren zu einer verringerten Qualität der Produkte führte. [3] Nicht geklärt ist bisher aber, ob die Angestellten auf das Verhalten des Arbeitgebers nur dann negativ reagieren, wenn sie direkt betroffen sind (etwa durch Lohnkürzungen oder Umstrukturierungen), oder auch dann, wenn sie indirekt betroffen sind – also die Kolleginnen und Kollegen solch ungeliebte Maßnahmen erleiden, sie selbst aber nicht. Für Unternehmen, die über Umstrukturierungenoder Kündigungen nachdenken, ist diese Unterscheidung durchaus wichtig.

Willkürliche Entlassungen

In der diesem Beitrag zugrunde liegenden neuen Studie [4] wurde ein Feldexperiment durchgeführt, um eben jene indirekten Effekte von als unfair wahrgenommenem Arbeitgeberverhalten zu messen. Zur Durchführung einer landesweiten Telefonumfrage wurden Teile eines Callcenters angemietet und 195 Personen angeworben, die in jeweils zwei Einsätzen Interviews durchführen sollten. Die Arbeitsbedingungen waren insgesamt vertrauensbasiert und sehr arbeitnehmerfreundlich: Der Stundenlohn war nicht nur großzügig bemessen, [5] die Arbeitnehmer konnten über ihre Arbeitszeit auch eigenständig verfügen, also jederzeit Pausen einlegen oder gar vor Ablauf der vereinbarten Zeit die Arbeit beenden. Zur exakten Messung der Produktivität während einer Schicht konnte anhand der Telefondatenneben der reinen Anzahl an Anrufen auch die Zeit erfasst und analysiert werden, die die Arbeitnehmer am Telefon verbrachten. Da die Produktivität der Arbeitnehmer in einem weitgehend natürlichen Umfeld ohne verzerrende Einflüsse beobachtet werden sollte, wurden sie über die im Hintergrund laufende Studie erst nach Beendigung der Umfrage aufgeklärt.

Um den indirekten Effekt unfairen Verhaltens isolieren zu können, wurden die Beschäftigten vor Beginn ihrer ersten Schicht per Zufall in eine von drei Gruppen eingeteilt:

  • In der „No-Layoff“-Gruppe blieb das Personal in der zweiten Schicht unverändert.
  • In der „Quasi-Layoff“-Gruppe wurde das Personal für die zweite Schicht um 20% reduziert. Den Verbliebenen wurde lediglich mitgeteilt, dass für die zweite Schicht schlicht weniger Personal anwesend sein würde.
  • In der „Layoff“-Gruppe wurde das Personal ebenfalls um 20% reduziert und die Kündigung an die verbliebenen Beschäftigten kommuniziert: „Wir  haben uns dazu entschieden, einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen zu entlassen. So können wir unsere Kosten senken. Die Auswahl erfolgte zufällig.“

Um die Erwartungen des verbliebenen Personals in der zweiten Schicht unverändert zu halten, wurde mehrmals klargestellt (auch schon bei der Einstellung), dass es sich um ein einmaliges Engagement handelte, also in Zukunft keine weiteren Jobs in diesem Unternehmen zu erwarten wären. Zudem wurde der Lohn bereits zu Beginn einer jeden Schicht ausgezahlt, sodass sich alle Angestellten ihres Lohns sicher sein konnten. Insbesondere die Mitglieder der Layoff-Gruppe wussten also bereits zu Beginn ihrer zweiten Schicht, dass die Entlassung ihrer Kolleginnen und Kollegen für sie keine Konsequenzen haben würde.

Der Effekt der Entlassungen auf die verbliebenen Arbeitnehmer

Zwar sank die Produktivität aller Arbeitnehmer in der zweiten Schicht im Vergleich zur ersten. Es stellte sich aber heraus, dass die Arbeitsleistung der verbliebenen Interviewer in der Layoff-Gruppe wesentlich stärker zurückging.

Die Nachricht von der Entlassung ihrer Kollegen – die sie in der Regel aufgrund der kurzfristigen Natur des Jobs und der Tatsache, dass maximal fünf Personen gleichzeitig in einer Schicht arbeiteten, nicht einmal kannten – führte dazu, dass die Produktivität um ca. 12% niedriger war als in den anderen beiden Gruppen (vgl. Abbildung 1). Die Arbeitnehmer der Layoff-Gruppe begannen ihre zweite Schicht erst einmal mit einer „Pause“ von durchschnittlich ca. acht Minuten und verließen ihren Arbeitsplatz dann auch ca. zwölf Minuten früher als die Teilnehmer der beiden anderen Gruppen. Die Nachricht von der Entlassung verminderte außerdem die Qualität des Outputs gemessen an der Quote durchgeführter Interviews: Nur 15,3% aller beantworteten Anrufe in der Layoff-Gruppe wurden mit einem Interview beendet, in der Quasi-Layoff-Gruppe waren es dagegen 20,4%.

Im Vergleich dazu waren zwischen den Gruppen „No-Layoff“ und „Quasi-Layoff“ keine signifikanten Leistungsunterschiede festzustellen. Die Reduzierung des Personals per se hatte also keinen Effekt auf die Produktivität. Weitere Überprüfungen der Robustheit der Ergebnisse zeigten, dass die Unterschiede sich nicht durch Wahrnehmungsänderungen bezüglich der Bedeutung der Arbeit oder der Kompetenz des Managements erklären ließen.

Nach dem Feldexperiment wurden die Probanden erneut kontaktiert und bezüglich ihrer Erfahrungen im Callcenter befragt. Insgesamt zeigten sich alle Befragten sowohl mit ihrem Lohn als auch mit der Atmosphäre im Callcenter und dem Verhalten des Managements ihnen gegenüber zufrieden. Die verbliebenen Interviewer der Layoff-Gruppe waren allerdings im Vergleich zu den Teilnehmern der anderen beiden Gruppen signifikant weniger zufrieden mit dem Verhalten des Managements ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber. Diese Gruppe wurde außerdem gefragt, welche Teile der Benachrichtigung über die Entlassungen sie als unsozial empfunden hatten. Ihren Antworten zufolge sahen sie die Kündigung an sich und die willkürliche Auswahl der zu entlassenden Personen als besonders unfair an.

Um die Interpretation der Daten abzusichern, wurde zusätzlich ein Vorhersage-Experiment mit 43 Personalverantwortlichen mittelständischer und großer deutscher  Unternehmen durchgeführt (83% der Teilnehmer arbeiten in Firmen mit mehr als 500 Mit-
arbeitern), die im Durchschnitt über acht Jahre Berufserfahrung verfügten. Nachdem ihnen der Aufbau des Callcenter-Experiments und die unterschiedliche Behandlung der drei Gruppen erläutert worden waren, wurden die Personalmanager gebeten, die Leistungsänderungen zwischen der ersten und der zweiten Schicht einzuschätzen.

Ihre Prognosen waren aggregiert bemerkenswert präzise. Sie sagten voraus, dass die Produktivität des Personals der Layoff-Gruppe zwischen den beiden Einsätzen signifikant sinken, in den anderen beiden Gruppen jedoch nur wenig abnehmen würde. Als Grund dafür nannte ein Großteil (76,7%) der Personalmanager die wahrgenommene Fairness. Einzeln betrachtet gehen die Einschätzungen jedoch sehr weit auseinander (vgl. Abbildung 2). Ungefähr 60% überschätzten den negativen Effekt auf die Arbeitsleistung, dafür unterschätzten die verbliebenen Befragten den Effekt oder vermuteten gar einen Produktivitätsanstieg.

Produktivität erhalten – auch während Entlassungsphasen

Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass unfaires Verhalten gegenüber Angestellten für Arbeitgeber teuer werden kann, auch wenn die direkt betroffenen Arbeitnehmer die Firma verlassen haben. Dieser Umstand ist insbesondere für alle Unternehmen oder Organisationen relevant, die ökonomische Schocks durch reduzierte Personalkosten auffangen müssen.

Die Relevanz dieser Kosten wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Ergebnisse des Experiments mit Ergebnissen anderer experimenteller Studien vergleicht, in denen Arbeitnehmer persönlich von Personalmaßnahmen betroffen sind.  Auch wenn die Studien hinsichtlich des experimentellen Aufbaus und der konkreten Rahmenbedingungen nur bedingt vergleichbar sind, so ist die berechnete Effektstärke für das in diesem Beitrag vorgestellte Feldexperiment sicherlich am oberen Rand anzusiedeln. Konkret bedeutet dies, dass die Produktivität von Arbeitnehmern vergleichbar leidet, egal ob sie selbst betroffen sind (z. B. durch Lohnkürzungen) oder nicht.

In erster Linie würden solche indirekten Kosten natürlich vermieden werden, wenn Unternehmen auf Kündigungen gänzlich verzichten könnten, indem sie die natürliche Personalfluktuation ausnutzen. Sollte dies keine Option darstellen, so ist zumindest denkbar, dass Entlassungen als weniger ungerecht empfunden werden, wenn Abfindungen gezahlt oder Anstrengungen unternommen werden, die gekündigten Mitarbeiter an einen neuen Arbeitsplatz zu vermitteln. Eine weitere Möglichkeit wäre, die unpopuläre Entscheidung, Mitarbeiter zu entlassen, an ein Interimsmanagement oder eine Unternehmensberatung zu übertragen. Experimentelle Studien haben gezeigt, dass von unfairen Entscheidungen Betroffene eher dem Entscheider als dem Auftraggeber die Schuld zuweisen.  Egal welche Strategie es letzten Endes konkret werden soll – die diesem Beitrag zugrunde liegende Studie zeigt, wie wichtig es ist, über solche Strategien nachzudenken, um erhebliche indirekte Kosten zu vermeiden.


1 Vgl. Bloom, N.; Eifert, B.; Mahajan, A.; McKenzie, D.; Roberts, J.: Does Management Matter? Evidence from India, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 128 (1), 2013, 1-51.
2 Vgl. Akerlof, G.: Labor Contracts as Partial Gift Exchange, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 97 (4), 1982, 543-569.
3 Vgl. Mas, A.: Labour Unrest and the Quality of Production: Evidence from the Construction Equipment Resale Market, in: Review of Economic Studies, Vol. 75 (1), 2008, 229-258.
4 Heinz, M.; Jeworrek, S.; Mertins, V.; Schumacher, H.; Sutter, M.: Measuring Indirect Effects of Unfair Employer Behavior on Worker Productivity – A Field Experiment. IWH-Diskussionspapiere 26/2017, Halle (Saale) 2017.
5 In einer nach Abschluss der Telefonumfrage durchgeführten Befragung der Interviewer gaben diese auf einer Skala von null (überhaupt nicht zufrieden) bis zehn (voll und ganz zufrieden) im Durchschnitt eine Zufriedenheit mit dem gezahlten Lohn von 9,1 an.

Empfohlene Publikationen

cover_vox-ceprs-policy-portal.png

Indirect Effects of Unfair Employer Behaviour on Workplace Performance

Matthias Heinz Sabrina Jeworrek Vanessa Mertins Heiner Schumacher Matthias Sutter

in: VOX CEPR's Policy Portal, 2017

Abstract

Any organisation that needs to restructure, cut wages, or make layoffs needs to know how the employees who are not affected will respond. This column presents a field experiment which revealed that the perception that employers are unfair – in this case, as a result of layoffs – reduces the performance of employees who have not been not directly affected. As part of the experiment, experienced HR managers were able to successfully anticipate the consequences of unfair employer behaviour on unaffected workers.

Publikation lesen

cover_DP_2017-26.jpg

Measuring Indirect Effects of Unfair Employer Behavior on Worker Productivity – A Field Experiment

Matthias Heinz Sabrina Jeworrek Vanessa Mertins Heiner Schumacher Matthias Sutter

in: IWH Discussion Papers, Nr. 26, 2017
publiziert in: Economic Journal

Abstract

We present a field experiment in which we set up a call-center to study how the productivity of workers is affected if managers treat their co-workers in an unfair way. This question cannot be studied in long-lived organizations since workers may change their career expectations (and hence effort) when managers behave unfairly towards co-workers. In order to rule out such confounds and to measure productivity changes of unaffected workers in a clean way, we create an environment where employees work for two shifts. In one treatment, we lay off parts of the workforce before the second shift. Compared to two different control treatments, we find that, in the layoff treatment, the productivity of the remaining, unaffected workers drops by 12 percent. We show that this result is not driven by peer effects or altered beliefs about the job or the managers’ competence, but rather related to the workers’ perception of unfair behavior of employers towards co-workers. The latter interpretation is confirmed in a survey among professional HR managers. We also show that the effect of unfair behavior on the productivity of unaffected workers is close to the upper bound of the direct effects of wage cuts on the productivity of affected workers. This suggests that the price of an employer’s unfair behavior goes well beyond the potential tit-for-tat of directly affected workers.

Publikation lesen

Außerdem in diesem Heft

cover_WiWa_3_2018.jpg

Kommentar: 30 Jahre DAX

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2018

Abstract

Gerade ist der Deutsche Aktienindex DAX 30 Jahre alt geworden, und es gibt viel zu feiern. Preisbereinigt hätte ein Investment von 1 000 Euro, angelegt am DAX-Eröffnungstag 1. Juli 1988, heute einen Wert von über 6 000 Euro, hätte sich also versechsfacht!

Publikation lesen

cover_WiWa_3_2018.jpg

Moral und Aktienerträge: Die Rolle von Dividenden und ethischen Bedenken bei der Bewertung von „Sin Stocks“

Stefano Colonnello Talina Sondershaus

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2018

Abstract

Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren zeigen: Renditen von so genannten „Sin Stocks“, das heißt Aktien von Unternehmen, die aus Sicht der Investoren moralisch verwerflichen Tätigkeiten nachgehen, sind durchschnittlich höher als Renditen anderer Unternehmen. Aber warum gibt es hier einen Unterschied, und was könnten die Faktoren sein, die diesen Unterschied hervorrufen? Ein neues Arbeitspapier des IWH zeigt theoretisch und datenbasiert, wodurch unterschiedliche Renditen hervorgerufen werden. Dabei werden bisherige Erklärungsversuche, die auf dem so genannten „Boykott-Risiko“ basieren, um neue Ansätze ergänzt. Es werden zunächst in einem theoretischen Rahmen Situationen beschrieben, in denen die Möglichkeit, ethische Ansprüche der Investoren durch höhere Dividendenzahlungen zu ersetzen, sowie die Risikobereitschaft der Investoren die zentrale Rolle für unterschiedliche Renditen spielen. Im zweiten Teil werden diese hypothetischen Szenarien anhand von Daten zu US-Firmen über 50 Jahre getestet. Es zeigt sich, dass insbesondere Investoren, die sehr risikoscheu sind und lieber höhere Dividendenzahlungen von Unternehmen erhalten würden, die ihren ethischen Ansprüchen genügen, für ihr eingegangenes Risiko mittels höherer Erträge kompensiert werden wollen.

Publikation lesen

Ihr Kontakt

Für Wissenschaftler/innen

Für Journalistinnen/en

Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft LogoTotal-Equality-LogoGefördert durch das BMWK