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Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist nach wie vor von der Corona-Pandemie gekennzeichnet. Nachdem neue Infektionswellen die Erholung im Winterhalbjahr 2020/2021 verzögert hatten, steigt das Bruttoinlandsprodukt seit dem Abebben des Infektionsgeschehens im Frühjahr nun wieder deutlich. Allerdings behindern im Verarbeitenden Gewerbe Lieferengpässe bei Vorprodukten massiv die Produktion, sodass bislang nur die von der Pandemie besonders betroffenen konsumnahen Dienstleistungsbranchen zulegen, während die Industrieproduktion seit Jahresbeginn sinkt. Im Winterhalbjahr dürfte die Erholung nochmals gebremst werden. So ist davon auszugehen, dass in der kalten Jahreszeit angesichts des stockenden Impffortschritts das Infektionsgeschehen noch eine Rolle spielen wird; dies bedeutet, dass kontaktintensive Aktivitäten weiterhin durch Hygienemaßnahmen und Verhaltensanpassungen beeinträchtigt werden und nicht zeitnah auf ihr Normalniveau zurückkehren. Zudem werden die Lieferengpässe die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe vorerst weiter belasten. Die Lieferengpässe haben auch einen preistreibenden Effekt, der durch die Verteuerung von Rohstoffen noch verstärkt wird und der die Nachfrage dämpft.

Die vorliegende Prognose basiert auf den Annahmen, dass die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland erst ab dem zweiten Quartal 2022 nicht mehr durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt wird und dass sich die Lieferengpässe für Vorprodukte nur allmählich im Verlauf des Jahres 2022 auflösen werden. Unter diesen Voraussetzungen dürfte die deutsche Wirtschaft im Sommer 2022 wieder normal ausgelastet sein; im Anschluss ist mit Nachholprozessen und damit einer zeitweisen Überauslastung zu rechnen. Insgesamt reduzieren die Institute ihre Prognose für die Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes auf 2,4% für das Jahr 2021 (Frühjahrs-Prognose: 3,7%) und erhöhen sie für das Jahr 2022 auf 4,8% (Frühjahrs-Prognose: 3,9%); im Jahr 2023 dürfte es um 1,9% zulegen.

Die gesamtwirtschaftliche Erholung wurde im dritten Quartal 2021 vor allem von den Dienstleistungsbereichen, etwa dem Gastgewerbe, getragen. Hier schlug sich nieder, dass die Corona-Fallzahlen im Sommer deutlich gesunken waren und somit Eindämmungsmaßnahmen gelockert wurden. Die Mobilität hat kräftig zugelegt und befindet sich im Bereich Einzelhandel und Erholung wieder auf dem Niveau von vor der Corona-Krise. Der private Konsum insgesamt dürfte um 4,7% gegenüber dem Vorquartal zugelegt haben. Im Verarbeitenden Gewerbe ging die Wirtschaftsleistung nach bereits rückläufiger Produktion im ersten Halbjahr im dritten Quartal 2021 nochmals deutlich zurück. Außergewöhnlich viele Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes berichten, dass ihre Produktion durch Engpässe bei Material und Ausrüstung beeinträchtigt wird, und die Warenimporte sind im dritten Quartal sogar merklich gesunken. Unter den Lieferengpässen leidet auch die Investitionstätigkeit. Insgesamt hat das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal wohl um 1,7% zugelegt, nach 1,6% im zweiten Quartal.

Die kommenden Quartale werden von einem weiteren wirtschaftlichen Aufholprozess gekennzeichnet sein. Der private Konsum wird sich mit abflauendem Infektionsgeschehen im Verlauf des kommenden Jahres wohl normalisieren, auch wenn sich die Dynamik über das Winterhalbjahr zunächst noch einmal verlangsamen dürfte. Die Institute gehen davon aus, dass nach Wegfall der pandemiebedingten Beeinträchtigungen ein Teil der mangels Konsummöglichkeiten angesammelten Überschussersparnis abgebaut wird, sodass es nach dem Winter zu einer kräftigen Konsumdynamik kommt. Mit einem Wachstumsbeitrag von 3,9 Prozentpunkten wird der private Konsum maßgeblich für die starke Expansion der Produktion im Jahr 2022 sein. Auch die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe wird mit den abnehmenden Lieferengpässen wieder zunehmen. Dies lässt eine stärkere Investitionstätigkeit der Unternehmen zu, zumal der Auslastungsgrad der Wirtschaft im kommenden Jahr wieder stärker anzieht. Alles in allem dürften die Kapazitäten in den beiden Jahren 2022 und 2023 moderat überausgelastet sein; gegen Ende des Prognosezeitraums dürfte die deutsche Wirtschaft allmählich wieder auf den Potenzialpfad einschwenken.

Die Aussichten auf eine weitere Konjunkturerholung werden durch die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gestützt. Nach dem Rückgang der Erwerbstätigkeit in Folge des Konjunktureinbruchs im Jahr 2020 steigt sie inzwischen wieder, im dritten Quartal 2021 besonders kräftig um etwa 240 000 Personen. Im Zuge der Erholung wird die Erwerbstätigkeit weiter zulegen, und die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr auf 5,7% und im kommenden Jahr auf 5,3% zurückgehen.

Die Verbraucherpreisinflation, die gegenwärtig deutlich über dem langjährigen Mittel liegt, dürfte vorerst erhöht bleiben. Die jüngst gestiegenen Energiepreise dürften sich, wie die Teuerung bei vielen Vorprodukten, mit zeitlichem Verzug in den Verbraucherpreisen niederschlagen. Zudem ist absehbar, dass Maßnahmen zum Klimaschutz die Preise steigen lassen werden. Beim Inflationsausblick ist auch zu berücksichtigen, dass die EZB ihr Inflationsziel etwas nach oben angepasst hat. Die Institute rechnen mit einem Anstieg der Verbraucherpreise im Jahr 2022 um 2,5% und im Jahr 2023 um 1,7%, nach 3% im laufenden Jahr.

Die Finanzpolitik dürfte mit Auslaufen von Corona-Hilfsmaßnahmen auf einen deutlich restriktiven Kurs einschwenken. Angesichts der Regierungsneubildung besteht allerdings eine erhöhte Unsicherheit über die finanzpolitischen Maßnahmen im Prognosezeitraum. Eine Rückkehr zu einem ausgeglichenen Haushalt ist indes auch mit Erreichen der Normalauslastung vorerst nicht zu erwarten – und zwar nicht in erster Linie aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie, sondern vielmehr aufgrund der in der vorangegangenen Legislaturperiode angelegten permanenten Ausgabensteigerungen. Das Defizit der öffentlichen Haushalte dürfte von 4,9% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr auf 2,1% und 0,9% in den beiden Folgejahren zurückgehen. Angesichts der kräftigen Zunahme des nominalen Bruttoinlandsprodukts wird die öffentliche Schuldenstandsquote wohl dennoch von 71% im Jahr 2021 auf 67% (2022) und 65% (2023) abnehmen.

Dieser Prognose liegen Annahmen zugrunde, die mit substanziellen Auf- und Abwärtsrisiken einhergehen. So ist unsicher, ob die Corona-Pandemie tatsächlich bis zum Frühjahr 2022 soweit eingedämmt werden kann, dass sie die wirtschaftliche Aktivität nicht mehr beeinträchtigt. Selbst wenn in Deutschland durch den Impffortschritt eine weitgehende Entspannung der Lage eintreten sollte, bleiben große Unsicherheiten über die Entwicklung in den Schwellenländern. Sollte dort ein weitgehender Schutz der Bevölkerungen nicht zeitnah erreicht werden, besteht zum einen das Risiko, dass aufflammende Infektionsherde die internationalen Lieferketten erneut belasten, und zum anderen die Gefahr, dass sich Virusmutationen herausbilden, gegen die die momentan verfügbaren Impfstoffe weniger gut wirken. Dies könnte wiederum Schutzmaßnahmen erforderlich machen, die die wirtschaftliche Aktivität belasten. Gleichermaßen könnte sich das Infektionsgeschehen anders als angenommen schon den Winter über entspannen, was die unterstellten Aufhol- und Nachholprozesse beschleunigen würde.

Auch die von den Instituten getroffene Annahme über die allmähliche Überwindung der derzeitigen Lieferengpässe im Laufe des Jahres 2022 ist unsicher. Sowohl eine frühere als auch eine spätere Entspannung in den Lieferketten ist denkbar. Dies wird nicht zuletzt vom Pandemiegeschehen im Rest der Welt abhängen.

Das Produktionspotenzial wird in den kommenden Jahren deutlich langsamer wachsen als bisher – zum einen, weil die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurückgeht, und zum anderen, weil Teile des gesamtwirtschaftlichen Kapitalstocks im Zuge der Dekarbonisierung obsolet werden. Die Institute rechnen mit einem Anstieg des Produktionspotenzials bis zum Jahr 2026 um durchschnittlich 1,0% pro Jahr – bei abnehmenden Jahresraten zum Ende des Projektionszeitraums. Die Konsummöglichkeiten je Einwohner werden gleich von zwei Seiten unter Druck geraten: weniger Erwerbstätige je Einwohner müssen das Einkommen erwirtschaften und ein größerer Teil des Einkommens als zuvor muss investiert werden, um CO2-Emissionen zu senken. Daher verringern sich auf absehbare Zeit die Konsummöglichkeiten, und nur durch gegenwärtigen Konsumverzicht wird es möglich sein, die avisierten Emissionsziele zu erreichen und die Staatsfinanzen nachhaltig aufzustellen.

Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Folgen von Demografie, Dekarbonisierung und Digitalisierung ungleich verteilt sind. Einkommensschwache Haushalte erwerben bereits heute kaum auskömmliche Rentenansprüche und können Preissteigerungen, die durch Klimaschutzmaßnahmen ausgelöst werden, nicht ohne weiteres tragen. Daher müssen die erforderlichen Maßnahmen sozial begleitet werden. Dies sollte vor allem durch direkte Hilfen für bedürftige Haushalte geschehen und nicht durch Verwässerung etwa von Klimaschutzmaßnahmen. Der soziale Ausgleich ist nicht nur aus der Verteilungsperspektive geboten. Vielmehr ist er erforderlich, um eine hohe Akzeptanz von techno- logischem Fortschritt, Strukturwandel und Klimaschutzpolitik zu gewährleisten.

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