Nachhut Ostdeutschland

Nur mit Investitionen in Köpfe lässt sich weiter aufholen

Dossier

 

Auf den Punkt

Der wirtschaftliche Aufholprozess Ostdeutschlands kommt kaum noch voran. Je nach Messkonzept stagniert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Neuen Bundesländer zwischen 70% und 80% des westdeutschen Niveaus. Selbst beim Vergleich von Betrieben gleicher Größe und Branche bleibt die Produktivitätslücke bestehen.

Erklärungen für diese Entwicklung sehen Politik und Wissenschaft oft in ganz unterschiedlichen Bereichen: Während Politiker und Politikerinnen eher mit Startschwierigkeiten argumentieren und das Fehlen von forschenden Großunternehmen sowie das Wegbrechen der ostdeutschen Märkte beklagen, werden auf wissenschaftlicher Seite die mangelnden Investitionen in Bildung und Forschung, die fehlende Internationalität und nicht ausreichende Innovationen - und damit die zukunftsgerichteten Argumente - ins Feld geführt.

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In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurde vor allem die physische Infrastruktur modernisiert, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Ostdeutschlands stieg deutlich. "Dieser Prozess beschleunigte sich durch westdeutsche Transfers erheblich, darum fiel der Produktivitätsfortschritt seinerzeit auch deutlich stärker aus als in anderen Transformationsländern wie zum Beispiel Polen, Ungarn oder Tschechien", so Professor Oliver Holtemöller, Vizepräsident des IWH. Bei der materiellen ostdeutschen Infrastruktur besteht heute im Großen und Ganzen jedoch kein Aufholbedarf mehr. Dass der Aufholprozess aber trotzdem nur langsam vorangeht - auch was den Beschäftigungsaufbau in Ostdeutschland betrifft - hat vielmehr andere Ursachen.

Demographie

Während die Bevölkerung in Westdeutschland seit der Jahrtausendwende in etwa stagniert und zuletzt sogar anstieg, ist die ostdeutsche Bevölkerung seit dem Jahr 2000 nach den großen Wanderungsverlusten der Wendezeit noch einmal um 15% zurückgegangen. "Das liegt zum einen an der natürlichen Bevölkerungsentwicklung, aber zum anderen auch daran, dass die Menschen aufgrund besserer wirtschaftlicher Perspektiven andernorts immer noch aus den ostdeutschen Flächenländern wegziehen", verdeutlicht Holtemöller. Zwar wuchs die Bevölkerung im Jahr 2015 auch hier. Das ist aber eher auf den außerordentlich hohen Zuzug von Flüchtlingen zurückzuführen, die nach einem bestimmten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden.

Mangelnde Investitionen in Bildung und Forschung

Um die wirtschaftliche Lage Ostdeutschlands zu verbessern, sind Investitionen in die Bildung unerlässlich - und zwar von der frühkindlichen Förderung bis hin zur Lehre an den Universitäten. Bildung ermöglicht nicht nur gleichberechtigte Teilhabechancen auf dem Arbeitsmarkt und bekämpft Altersarmut sowie Arbeitslosigkeit damit wesentlich nachhaltiger als beispielsweise der einheitliche flächendeckende Mindestlohn. Bildung ist außerdem der Schlüssel zu Innovationen und damit zu mehr Produktivität. Ganz ähnlich verhält es sich mit Investitionen in Forschung und Entwicklung. Im Jahr 2012 beispielsweise betrugen die Ausgaben in Sachsen-Anhalt nur 1,5% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Das Land war damit Schlusslicht unter allen 16 Bundesländern.

Fehlende Internationalität

Der Wohlstand in Deutschland basiert zu einem guten Teil auf der internationalen Ausrichtung der Wirtschaft. Auch hier liegt Sachsen-Anhalt als ostdeutsches Bundesland weit zurück; der Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen im Verarbeitenden Gewerbe liegt mit etwa 30% weit unter dem Bundesdurchschnitt von 45%.

"Die mancherorts offen zutage tretende Fremdenfeindlichkeit ist ein negativer Standortfaktor."

Erschwerend hinzu komme die teilweise offenkundige Fremdenfeindlichkeit, so Holtemöller. Das ist zum einen ein negativer Standortfaktor: In Sachsen-Anhalt kommen auf 1 000 Einwohner und Einwohnerinnen zwölfmal so viele rechtsextreme Straftaten wie beispielsweise in Hessen. Daher ist es vergleichsweise schwierig, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland dafür zu gewinnen, sich in Ostdeutschland anzusiedeln.

"Eine einseitige Orientierung an Sachkapital und Technologie wird Ostdeutschland nicht weiterbringen. Zukunftstreiber sind Humankapital, Kreativität und Weltoffenheit," fasst der Vizepräsident zusammen.

Infografiken

Publikationen zum Thema "Ostdeutschland"

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IWH-Industrieumfrage im zweiten Quartal 2016: Aufschwung im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe geht weiter

Birgit Schultz

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 4, 2016

Abstract

Im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands hat sich die Erwärmung des Geschäftsklimas nach der kurzen Pause im ersten Quartal 2016 fortgesetzt. Das zeigen die Ergebnisse der IWH-Umfrage vom zweiten Quartal 2016 unter rund 300 Unternehmen. Per saldo verbessert sich die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage um fünf Punkte, nachdem sie zum Jahreswechsel 2015/2016 noch stagniert hatte. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Geschäftsaussichten (vgl. Abbildung 1 und Tabelle).

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IWH-Konjunkturbarometer Ostdeutschland: Konjunktur zieht nach schwachem Start in das Jahr 2016 an

Franziska Exß Udo Ludwig

in: Konjunktur aktuell, Nr. 3, 2016

Abstract

Das Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Flächenländer ist von April bis Juni 2016 – saisonbereinigt nach dem Berliner Verfahren – um 0,5% gegenüber dem schwachen ersten Quartal gestiegen. Damit expandierte die Produktion in den Neuen Bundesländern fast so stark wie in den Alten (0,6%). Der Zuwachs stand auf breiter Basis. Sowohl das Produzierende Gewerbe als auch der Dienstleistungssektor trugen dazu bei. Trotz der zuletzt eingetretenen konjunkturellen Beschleunigung blieb der Produktionsanstieg in den ostdeutschen Flächenländern allerdings mit 1,5% im ersten Halbjahr gegenüber dem Westen um reichlich einen halben Prozentpunkt zurück.

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IWH-Konjunkturbarometer Ostdeutschland: Gute Aussichten nach schwachem Start in das Jahr 2016

Franziska Exß Udo Ludwig

in: Konjunktur aktuell, Nr. 2, 2016

Abstract

Das Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Flächenländer ist von Januar bis März dieses Jahres – saisonbereinigt nach dem Berliner Verfahren – um 0,1% gegenüber dem starken Schlussquartal 2015 gestiegen. Damit expandierte die Produktion in den Neuen Bundesländern deutlich langsamer als in den Alten (0,5%). Zwar hat auch hier das Baugewerbe von der günstigen Investitionskonjunktur und dem milden Winter profitiert, die Industrie ist jedoch zurückgeblieben, und die gewerblichen Dienstleister expandierten nur moderat. Gegenüber dem Start im Vorjahr erhöhte sich die wirtschaftliche Leistung um 0,7%.

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Ostdeutsche Wirtschaftspolitik muss umdenken: Nur mit Investitionen in Köpfe lässt sich weiter aufholen

Hans-Ulrich Brautzsch Franziska Exß Oliver Holtemöller Axel Lindner Brigitte Loose Udo Ludwig Birgit Schultz

in: Konjunktur aktuell, Nr. 2, 2016

Abstract

Für das Jahr 2016 prognostiziert das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) einen Anstieg des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts um 1,7% (Deutschland insgesamt: 1,8%). Maßgeblicher Treiber ist wie in Deutschland insgesamt die Binnennachfrage. Insbesondere profitiert die Wirtschaft von der hohen Dynamik des Dienstleistungssektors in Berlin. Der Zuwachs in den ostdeutschen Flächenländern bleibt dagegen mit 1,3% wieder hinter dem in Westdeutschland zurück. Um wirtschaftlich aufzuholen, sollten Bildung und Forschung im Mittelpunkt der Wachstumspolitik stehen; mit traditioneller Förderpolitik lassen sich keine weiteren Aufholerfolge mehr erzielen.

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Im Fokus: Industrielle Kerne in Ostdeutschland und wie es dort heute aussieht – Das Beispiel des Metallurgiestandorts Eisenhüttenstadt

Gerhard Heimpold

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2016

Abstract

Der Metallurgiestandort Eisenhüttenstadt gehörte zu den industriellen Kernen, um deren Erhalt nach Herstellung der Einheit Deutschlands gerungen wurde. Der Beitrag untersucht, wie der Kern nach mehr als 25 Jahren Deutscher Einheit dasteht und welche Entwicklung sich vollzogen hat. Das Eisenhüttenstädter Unternehmen bildet weiterhin den prägenden industriellen Kern für die Region, bei starkem Beschäftigungsrückgang. Nach der Übernahme durch den privaten Investor Ende 1994 wurde die bis dahin existierende produktivitätsmindernde Lücke in der Wertschöpfungskette durch Errichtung eines Warmwalzwerks geschlossen. Auch ein neuer Hochofen wurde errichtet. Das Eisenhüttenstädter Werk gehört heute zu ArcelorMittal, dem weltweit größten Stahlkonzern, und ist einer von vier Stahlproduktionsstandorten des Konzerns in Deutschland. Geforscht wird an anderen Standorten außerhalb Deutschlands. Hergestellt werden qualitativ hochwertige Flachstähle für die zentral- und osteuropäischen Märkte. Die Produktion ist hochmodern und wettbewerbsfähig, sieht sich aber insbesondere durch Importwettbewerb und Pläne der EU-Kommission für den Emissionsrechtehandel herausgefordert. Weiterer Strukturwandel und wirtschaftliche Diversifizierung sind in Eisenhüttenstadt vonnöten.

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