Als es in Halle noch kaum Wohnungen gab ...

Brigitte Loose über die Gründung und Entwicklungen des IWH

Frau Loose, wie haben Sie die Anfänge des IWH erlebt?

Aus heutiger Sicht war es die spannendste Zeit meines Berufslebens überhaupt. Es war ja eine komplette Neuorientierung notwendig. Das IWH mit dem damaligen Profil „Ostdeutschland“ hatte unter anderem das Ziel, bei der Entwicklung der ostdeutschen Unternehmen mitzuhelfen. Wir analysierten also stetig die Anpassungsfortschritte der ostdeutschen Wirtschaft. Es wurden viele neue Ideen und Konzepte entwickelt, die meist im großen Rahmen diskutiert wurden. Jeder half damals mit und steuerte etwas bei; es war also eine sehr kreative Teamarbeit.

Waren Sie selbst auch schon in Berlin mit dabei?

Ja, ich gehöre zu denen, die von der Akademie der Wissenschaften an das IWH gekommen sind. Ab 1992 war ich zusammen mit Herrn Ludwig für das IWH in der Abteilung Makroökonomik tätig.

Wir haben von Herrn Ludwig schon gehört, warum gerade Halle als Standort ausgesucht wurde. Was ist Ihre These?

Zum einen lag das daran, dass es nicht zwei ähnliche Institute in Berlin in nächster Nähe geben sollte und zum anderen sollte ja eine Spezialisierung auf Ostdeutschland stattfinden. So entschied man, den Sitz dorthin zu verlegen, wo die Probleme Ostdeutschlands hautnah verfolgt werden können: in der Chemie- und Braunkohle-Region. Die Ansiedlung gerade in Halle wurde dabei besonders vom damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher vorangetrieben. Zunächst einmal wurden nur zwei Abteilungen nach Halle umgesiedelt, die Umwelt- und Energieabteilung sowie die Mittel- und Osteuropaabteilung. Die Abteilungen Konjuktur und Wachstum sowie Strukturwandel verblieben noch in Berlin. Mit der Übergabe der Leitung des Instituts von Herrn Wegner an Herrn Pohl zu Beginn des Jahres 1994 wurde dann der komplette Umzug des Instituts nach Halle vollzogen.

Und Ihr Umzug?

Tatsächlich gehörte ich zu den ersten, die damals mit Familie umgezogen sind. Es war aber schwierig, in Halle eine Wohnung zu finden, denn es gab nur sehr wenige freie Wohnungen. Neubau und die Sanierung waren in Halle noch nicht so weit vorangeschritten. Zudem war die Umweltbelastung und Luftverschmutzung im damaligen Chemiedreieck Merseburg-Halle-Bitterfeld noch extrem hoch. Trotz dieser Probleme und einiger Schwierigkeiten zu Beginn habe ich die Entscheidung, diese große Veränderung anzunehmen und nach Halle zu ziehen, nie bereut. Jeden Tag, jede Woche wurden positive Veränderungen und der Fortschritt in Halle sichtbar, und das IWH konnte mit vielen interessanten Projekten punkten.

Das klingt aber insgesamt schon nach einer Herausforderung.

Ja natürlich, besonders in der Kombination von Beruf und Familie, zumal dies am IWH noch nicht so eine starke Unterstützung erhielt wie heute.

Mal so reingeplatzt: Was geschah am IWH als die Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 insolvent ging?

Wir arbeiteten damals gerade mit den anderen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten an der Erstellung der Gemeinschaftsdiagnose. Zunächst mussten die Institute ihre damaligen Prognosen verwerfen und ein völlig neues Basisszenario für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland erstellen. Im Kontext einer solchen Extremsituation schien aber auch diese als sehr risikobehaftet, deshalb wurden zusätzlich verschiedene andere Szenarien durchgespielt. Aber auch damit hatten wir die tatsächlichen drastischen Ausmaße der Finanzkrise leider unterschätzt.

Hat die Finanzkrise einen Imageschaden der Ökonominnen und Ökonomen verursacht? 

Zum Teil schon, weil damals jegliche Prognosen und Frühindikatoren weltweit versagt hatten. Aber die Folgen eines weltweiten Finanzschocks sind sehr schwer abzuschätzen. Für eine bessere Prognose könnte man lediglich verschiedene Krisen miteinander vergleichen, die allerdings immer unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen ablaufen. Im Endeffekt bleiben Prognosen aber auch nur Projektionen. Sie können niemals die Realität punktgenau vorhersagen, sondern werden immer nur eine Annäherung an das künftige reale Wirtschaftswachstum sein.

Gibt es einen Moment aus den letzten 25 Jahren IWH, an den Sie besonders gerne zurückdenken?

Da gibt es eigentlich viele. Während der Ausschreibung zur Gemeinschaftsdiagnose war immer große Spannung im Institut zu spüren. Es war jedes Mal ein fantastisches und erleichterndes Gefühl, wenn wir erfahren haben, dass das IWH wieder beteiligt ist.

Wie stellen Sie sich das IWH in den nächsten 5, 10, 15, 25 Jahren so vor?

Ich denke und hoffe, dass es das Institut noch viele Jahre geben wird. Ich würde mich freuen, wenn der Schwerpunkt Finanzmärkte weiter gestärkt wird und sich das IWH in diesem Bereich zukunftsträchtig spezialisieren kann. Aber ohne eine starke Makroökonomik-Abteilung wird es auf jeden Fall auch nicht gehen. Ich würde es auch für sinnvoll halten, die Ostdeutschlandanalyse nicht ganz von der Agenda des IWH zu streichen. In der Zukunft wird es weiterhin eine Gratwanderung zwischen dem Erhalt des eigenen Schwerpunktes und der Erfassung und Implementierung von Neuem bleiben. Das ist keineswegs leicht.
Meiner Meinung nach ist das IWH derzeit zu sehr zu einer Art Qualifizierungseinrichtung geworden, was zu einer hohen personellen Fluktuation führt. Für ein langfristiges Bestehen und insbesondere für die wirtschaftspolitische Beratung braucht man meiner Meinung nach aber auch einen festen personellen Stammkern an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.


Dr. Brigitte Loose

Brigitte Loose kam 1992 ans Institut. Sie war in der Abteilung Makroökonomik an den regelmäßigen Konjunkturanalysen und -prognosen für Deutschland, Ostdeutschland und Sachsen-Anhalt beteiligt.

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