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Ein Risiko für die konjunkturelle Entwicklung besteht darin, dass sich die aktuellen Turbulenzen im internationalen Bankensektor auf Kreditinstitute in Deutschland ausweiten. Dadurch könnte vor allem über einen Rückgang des Kreditangebots die wirtschaftliche Dynamik deutlich stärker belastet werden als in der vorliegenden Prognose unterstellt. Unklar ist zudem, wie die privaten Haushalte auf die hohen Preisanstiege und die damit einhergehenden Kaufkraftverluste reagieren. So ist einerseits vorstellbar, dass sie ihre Sparneigung wieder erhöhen und einen zunehmenden Anteil ihres Einkommens, etwa aus einem Vorsichtsmotiv heraus, beiseitelegen. Andererseits könnten noch Überschussersparnisse aus den Corona-Jahren für Konsumzwecke verausgabt werden. Ein weiteres Risiko stellt nach wie vor die Verfügbarkeit von Erdgas im kommenden Winter dar. Zwar ist die Ausgangsposition deutlich günstiger als noch vor Jahresfrist, da die Gasspeicher zu Beginn des Frühjahrs mit über 60% außergewöhnlich gut gefüllt sind. Dennoch zeigen die Simulationen der Institute, dass eine Gasmangellage im kommenden Winter nicht auszuschließen ist, vor allem wenn die Temperaturen über einen längeren Zeitraum sehr niedrig sind.

Das Schwerpunktthema untersucht die kurzfristigen Anpassungsreaktionen und strukturellen Folgen der Energiekrise für die deutsche Wirtschaft. In Reaktion auf die veränderte geopolitische Lage standen im Jahr 2022 Reduktionen des Energie- und insbesondere des Gasverbrauchs ganz oben auf der Agenda. Tatsächlich fiel der Gasverbrauch um 17% gegenüber dem Jahr 2021. Bei der Interpretation dieser Zahl ist zu berücksichtigen, dass sechs Prozentpunkte allein auf einen temperaturbedingt niedrigeren Gasverbrauch für Heizungen in privaten Haushalten zurückgehen. In der Industrie wurde die Gasersparnis vor allem über Produktionsrückgänge in energieintensiven Wirtschaftsbereichen sowie Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Gaspreisen erreicht.

Diese Produktionsverlagerungen zeigen einmal mehr, dass der Preis ein sehr wirksames Instrument ist, um Lenkungseffekte beim Energieverbrauch zu erzielen. Dies kann sich die Politik auch im Kontext der Reduktion von Treibhausgasemissionen zunutze machen, da steigende Relativpreise für Energie auch den Anreiz für energiesparenden technischen Fortschritt erhöhen. Eine Analyse der Institute zeigt, dass die Emissionsziele ohne einen Rückgang der Produktion nur erreicht werden können, wenn die Wachstumsrate des energiesparenden technischen Fortschritts spürbar steigt. Die dafür notwendige Reduktion der Umwandlungsverluste zwischen Primär- und Endenergieverbrauch kann dabei auch durch eine vermehrte Nutzung von erneuerbaren Energien erreicht werden. Hohe Preise für fossile Energieträger werden Unternehmen veranlassen, Alternativen zu finden; insbesondere wird es attraktiver, energieintensive Produkte von Standorten zu beziehen, an denen Energie aus regenerativen Quellen kostengünstiger zur Verfügung steht als in Deutschland. Wenn insbesondere Produktion dort reduziert wird, wo hohem Energieverbrauch nur eine geringe Wertschöpfung gegenübersteht, wirkt sich das günstig auf die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Energiewende aus.

Die Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren die angebotspolitischen Zügel weitgehend schleifen lassen, auch in Zeiten, in denen kein akutes Krisenmanagement anstand. Umso größer ist nun der Reformbedarf, um insbesondere die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Energiewende zu bewältigen. Beide erfordern potenzialstärkende Maßnahmen, auch um die sich verschärfenden Verteilungskonflikte einzuhegen.

Die gegenwärtige Phase hoher Inflation ist kein bloßer Reflex auf eine beeinträchtigte Erdgasversorgung. Sie ist auch binnenwirtschaftlich bedingt als Folge der Makro-Politiken in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und die Energiekrise. Diesen primär angebotsseitigen Störungen wurde mit einer stark expansiven Finanzpolitik begegnet, die zu weiten Teilen monetär alimentiert wurde. Im Ergebnis hat sich seit Ausbruch der Pandemie ein erheblicher Nachfragesog aufgebaut, der an den Gütermärkten die Preise trieb und die Gewinne der Unternehmen steigen ließ. Die Wirtschaftspolitik ist daher gut beraten, die gegenwärtige Inflationsdynamik nicht mit weiteren Programmen zur Stimulierung der Nachfrage zu befeuern.

Es muss stattdessen darum gehen, das Produktionspotenzial in Deutschland zu stärken. Energie ist neben Arbeit und Kapital ein pervasiver Produktionsfaktor, praktisch keine ökonomische Aktivität kommt ohne sie aus. Die Versorgungssicherheit wie auch die Versorgungskosten sind daher ein wichtiger Standortfaktor. Es kommt im Rahmen der Energiewende darauf an, die Bedingungen für die Energieproduktion und -einfuhr marktwirtschaftlich so auszugestalten, dass emissionsfreie Energie in Deutschland zu den geringstmöglichen Kosten bereitgestellt werden kann. Dies gelingt am besten über eine durchgängige Bepreisung von Treibhausgasemissionen, nicht durch Technologie- oder Verbrauchsvorgaben. Im Zuge des demografischen Wandels schwinden die Wachstumskräfte in Deutschland deutlich. Lag die durchschnittliche Wachstumsrate über mehrere Jahrzehnte recht stabil bei 1,3% pro Jahr, schmilzt sie bereits mittelfristig auf weniger als die Hälfte. Um das Arbeitsangebot zu erhöhen, sollten die hohe Abgabenlast gesenkt, die Erwerbsbeteiligung erhöht und das Fachkräftepotenzial ausgeweitet werden. Nicht zuletzt machen höhere Arbeitsanreize hierzulande den Standort auch für qualifizierte Zuwanderer attraktiver.

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