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Regionalisierung öffentlicher Ausgaben und Einnahmen – Eine Untersuchung am Beispiel der Neuen Länder –

Die Untersuchung der durch staatliche Aktivität ausgelösten Zahlungen – seien es Steuern und Abgaben auf der Einnahmenseite oder öffentliche Ausgaben – besitzt traditionsgemäß einen hohen Stellenwert in der empirischen Finanzwissenschaft. Ziel der vorliegenden Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle ist es, die Möglichkeiten zur Regionalisierung dieser Zahlungsströme in einem föderativen Gesamtstaat aufzuzeigen. Am Beispiel der Zahlungsströme zwischen West- und Ostdeutschland soll dabei auch auf die praktischen und theoretischen Schwierigkeiten der Regionalisierung sowie auf die letztendlich zu akzeptierenden Begrenzungen eingegangen werden. Öffentliche Finanzströme sind zum einen Steuern und Abgaben, die die Einnahmenseite des Staates und seiner Parafisken umfassen, und zum anderen die mit diesen Mitteln getätigten Ausgaben für bestimmte Zweckbereiche. Damit ergibt sich ein Saldo, der auch als die formale Budgetinzidenz, also als Budgetwirkung, bezeichnet wird. Im Zusammenhang mit dem speziellen Untersuchungsgegenstand könnte man leicht dazu verleitet werden, die hier gewonnenen Ergebnisse als „Kosten der Einheit“ zu bezeichnen.

23. November 2009

Autoren Ulrich Blum Joachim Ragnitz Sabine Freye Simone Scharfe Lutz Schneider

In dieser Studie wird die Möglichkeit genutzt, genau dies zu relativieren und auch zu widerlegen, denn eine derartige Vereinfachung trifft weder aus theoretischer noch aus empirischer Sicht die Sachlage. Eine Reihe gewichtiger Argumente spricht gegen eine derartige Interpretation:

  • Viele Ausgabenanteile sind in starkem Maß Bestandteil des allgemeinstaatlichen Leistungsversprechens an die Bürger. Hierzu zählen viele infrastrukturelle Ausgaben, aber auch Kosten der sozialen Absicherung. Manche Ausgaben finden ihre Grundlage im regionalpolitischen Ausgleichsziel und kommen somit auch weniger entwickelten westlichen Regionen zugute. Andere Ausgaben stehen mit der Mobilität der Bevölkerung in Verbindung. Wandert beispielsweise ein Haushalt aus einem Ballungsgebiet nach Ende des Berufslebens in eine periphere ländliche Region ab, so bezieht er dort die Rente und fragt vor Ort ebenso weitere öffentliche Infrastrukturleistungen nach, die dann in der Peripherie erbracht werden müssen.
  • Im Sinne des Aufzeigens der Grenzen der Analyse ist nach dem Ausweis der formalen Inzidenz der Budgets als Differenz von staatlichen Ausgaben und Einnahmen zugunsten einer Region nicht klar, ob diese effektiv vor Ort verbleiben und welche Anteile davon an Dritte außerhalb der Region abfließen. In erster Linie hängt die Beantwortung dieser Frage von der regional-sektoralen Verflechtung ab, d. h. wie sich die Ausgaben in den weiteren Wirkungsrunden, also nachgelagert, verteilen und wie die zu zahlenden Steuern und Abgaben in der entsprechenden Vorleistungsverflechtung umgelenkt werden. Gerade der Ost-West-Vergleich bietet hier interessantes Anschauungsmaterial, das jedoch nahtlos auf gleichartige Problematiken in Westdeutschland übertragen werden kann. So bestimmt beispielsweise die Eigentumsstruktur darüber, ob ein durch einen öffentlichen Auftrag in Ostdeutschland entstandener Gewinn, der eine regionale Begünstigung darstellt, tatsächlich im privatwirtschaftlichen Bereich in Ostdeutschland verbleibt oder nach Westdeutschland, beispielsweise in eine Muttergesellschaft, abgeführt wird und somit für Ostdeutschland verloren ist.
  • Gerade in Bezug auf Berlin ist es schwierig, die Salden aus dem Fortfall des Inselstatus Westberlins einerseits, der in erheblichem Maß Finanzmittel freigesetzt hat, und den neuen Bedarfen als Hauptstadt andererseits zu ermitteln. Diese Effekte betreffen alle Einnahmen- und Ausgabenbereiche. Ähnliches gilt auch für Bonn als ehemalige Bundeshauptstadt. In diesen Fällen hilft methodisch nur die Gesamtschau einer Kaufkraftkonzeption, die analysiert, in welchem Umfang öffentliche Zahlungen die Nachfrage stimulieren bzw. Steuer- und Abgabenerhebungen die Kaufkraft bremsen. Es wird daher im Rahmen der vorliegenden Studie primär auf die Saldeneffekte abgestellt.

Als Ergebnis der Studie wurde ein Budgetsaldo von 76,6 Mrd. Euro für das Jahr 2005 errechnet, für den es aus theoretischer Sicht auch alternative Verwendungen gegeben hätte – allerdings mit entsprechend völlig anderen Folgen, beispielsweise für den Wirtschaftskreislauf. Im Zuge der Einheit flossen diese Gelder nach Ostdeutschland. Von den Bruttoleistungen konnten nur 7,9 Mrd. Euro wachstumswirksamen Verwendungen zugeordnet werden (davon 15% für Berlin); der Rest entfällt auf allgemeine bundesstaatliche Aufgaben und Leistungen des Sozialstaates.
Offensichtlich sind, wie der in dieser Studie am Beispiel der Zahlungen zwischen West- und Ostdeutsch-land erfolgte Versuch der Regionalisierung der öffentlichen Finanzströme zeigt, die wirtschaftspolitischen Aussagen weit differenzierter, als es gemeinhin in der Öffentlichkeit postuliert oder wahrgenommen wird. Dieses Bild wäre zu ergänzen um die Zahlungsbeziehungen der privaten Haushalte und um die Wirkung umfangreicher Realtransfers. Für diese fehlt jedoch weitgehend die repräsentative Datenbasis. Die Bedeutung sei an drei Beispielen kurz erläutert: Erstens führen Pendlerverflechtungen an Regionengrenzen dazu, dass das Geld anderswo verdient als ausgegeben wird; dies dürfte im konkreten Fall Ostdeutschland begünstigen. Zweitens führen Migrationsverflechtungen zu Wertschöpfung in den Zuwanderungsregionen, wovon die süddeutschen Länder massiv profitiert haben. Drittens ist bei verbundenen Unternehmen nicht klar, ob der Standort, der eine Investition finanziert – oft der Konzernsitz –, auch jener ist, der begünstigt wird – konkret die verlängerte Werkbank. Im Rahmen einer umfassenderen Analyse müssten dann auch die hier skizzierten Gegenpositionen betrachtet werden.

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