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Die deutsche Wirtschaft steuert durch schwieriges Fahrwasser. Die Auftriebskräfte durch den Wegfall der Pandemiebeschränkungen, die Nachwehen der Corona-Krise und die Schockwellen durch den Krieg in der Ukraine sorgen für gegenläufige konjunkturelle Strömungen. Allen Einflüssen gemeinsam ist ihre preistreibende Wirkung.

Mit der nun abflauenden Pandemie geht für sich genommen eine kräftige Erholung einher. Diese wird insbesondere durch die kontaktintensiven Dienstleistungsbereiche getragen. Dort können mit dem Wegfall der meisten Infektionsschutzmaßnahmen die Kapazitäten wieder stärker genutzt werden. Zugleich dürften sie auf rege Nachfrage stoßen, auch weil ihre Leistungen über längere Zeit entbehrt werden mussten. Zudem haben die privaten Haushalte während der Pandemie Überschussersparnisse von über 200 Mrd. Euro gebildet, die maßgeblich dem Umstand geschuldet waren, dass die Konsumenten ihre gewohnten Verbrauchsmuster pandemiebedingt nicht beibehalten konnten. Das hohe Ausmaß an aufgestauter Kaufkraft wirkt belebend auf die Konjunktur und dürfte einen Gutteil des derzeitigen Inflationsdrucks erklären. Zu diesem Inflationsdruck hat die Finanzpolitik beigetragen, indem sie während der Pandemie die privaten Einkommen in erheblichem Umfang stabilisiert hat. Flankierend wirkte eine ultralockere Geldpolitik, die nun kaum gegensteuert – aktuell senkt die in die Höhe geschnellte Inflation die ohnehin negativen Realzinsen nochmals deutlich.

Im Zuge der Pandemie wurden die Lieferketten erheblich gestresst. In der Folge war auch die deutsche Industrie mit Materialengpässen historischen Ausmaßes konfrontiert, welche die Produktion massiv beeinträchtigten, während sich die Nachfrage ausweislich des regen Auftragseingangs bereits kräftig erholt hatte. Insgesamt dürfte sich der Auftragsüberhang im Verarbeitenden Gewerbe mittlerweile auf 100 Mrd. Euro belaufen. Die Industrieproduktion ist seit fünf Monaten wieder aufwärtsgerichtet, gleichwohl belasten Lieferengpässe immer noch die industrielle Aktivität. Hohe Nachfrage bei gehemmtem Angebot machen sich in stärkerem Preisdruck geltend. In dem Maße, wie Lieferengpässe nach und nach überwunden werden, lassen die Nachholeffekte auch in der Industrie für sich genommen einen selbsttragenden Aufschwung erwarten.

Die ab dem Frühjahr mit dem Überwinden der Pandemie und ihrer Folgen angelegte kräftige Erholung wird durch den Kriegsausbruch in der Ukraine zunächst gebremst. Der Krieg und die politischen Reaktionen wirken angebots- und nachfrageseitig über verschiedene Kanäle als negativer Schock auf die wirtschaftliche Aktivität. Spürbar, aber gesamtwirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung, ist der Wegfall der Exportmärkte, der insbesondere mit dem westlichen Sanktionsregime gegenüber Russland verbunden ist. Bedeutender ist die massiv gestiegene Unsicherheit über die Rohstoffversorgung, insbesondere – aber nicht nur – bei wichtigen Energierohstoffen, die den bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine in Gang gekommenen Preisauftrieb weiter angefacht hat. Damit fließt über die höhere Energieimportrechnung entsprechend mehr Kaufkraft ins Ausland ab und schwächt hierzulande die Nachfrage. Zugleich kommt es durch die kriegsbedingten Störungen zu neuen Lieferengpässen, die kurzfristig nicht zuletzt die Automobilindustrie treffen.

Im zurückliegenden Winterhalbjahr haben vor allem die Maßnahmen zum Infektionsschutz die Wirtschaftsleistung gedämpft. Unter der Voraussetzung, dass das Kriegsgeschehen in der Ukraine mit Blick auf die ökonomische Aktivität nicht weiter eskaliert, werden die konjunkturellen Auftriebskräfte ab dem Frühjahr die Oberhand gewinnen. Nach einem schwachen Jahresauftakt dürfte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal zwar deutlich zulegen, ohne die Belastung durch den Krieg in der Ukraine würde das Plus aber kräftiger ausfallen. Insgesamt verzögert sich damit der Erholungsprozess abermals. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung wird demnach erst im dritten Quartal des laufenden Jahres erreicht werden. Alles in allem erwarten die Institute einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 2,7% für dieses Jahr und 3,1% für nächstes Jahr. Im kommenden Jahr driftet die deutsche Wirtschaft in eine leichte Überauslastung. Maßgeblich dafür sind der hohe Auftragsüberhang in der Industrie sowie nachholende Konsumaktivität. Weil die dämpfenden Pandemieeffekte, die vor allem die konsumnahen Wirtschaftsbereiche betreffen, früher überwunden werden als die Lieferengpässe in der Industrie, die für die Investitions- und Exporttätigkeit bedeutender ist, dominiert verwendungsseitig im laufenden Jahr die Belebung des privaten Verbrauchs, während die Bruttoanlageinvestitionen und die Exporte im kommenden Jahr verstärkt die Expansion tragen.

Die Verbraucherpreise ziehen im laufenden Jahr mit einer Rate von 6,1% so kräftig an wie seit 40 Jahren nicht mehr. Auch im kommenden Jahr bleibt die Rate mit 2,8% deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung. Der Prozess beschleunigter Inflation hat bereits vor einem Jahr eingesetzt, und der Krieg in der Ukraine verschärft den Preisauftrieb zusätzlich. Dabei kommen die starken Rohstoffpreisanstiege erst nach und nach auf der Verbraucherstufe an. Allerdings treiben nicht nur höhere Energiepreise die Teuerung. So nimmt der heimische Preidruck – gemessen am Deflator des Bruttoinlandsproduktes – in beiden Prognosejahren mit über 3% deutlich zu, und auch die Kernrate der Inflation dürfte im kommenden Jahr noch bei 3,1% liegen. Insgesamt hat sich ein breit angelegter Preisdruck aufgebaut, der auch dann noch nachwirkt, wenn annahmegemäß die Rohstoffpreise wieder etwas nachgeben und die Lieferengpässe in der zweiten Jahreshälfte sukzessive nachlassen.

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