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Wirtschaftliche Mobilität dürfte nach Lockerung deutlich steigen – aber auch die Zahl der COVID-19-Fälle

In Deutschland wurden Anfang März in einigen Bereichen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gelockert; so wurde die Anzahl der Personen aus verschiedenen Haushalten, die sich treffen dürfen, vielerorts erhöht und Einzelhandelsgeschäfte können vermehrt wieder Kunden empfangen. Auf diese Weise kommt es zu einem gewollten Wiederanstieg der wirtschaftlichen Mobilität und der persönlichen Kontakte zwischen Menschen. Die Kontakthäufigkeit ist allerdings auch ein wesentlicher Einflussfaktor für die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus, zumal die Lockerungen bislang nicht mit einer systematischen Teststrategie einhergehen; und auch der Impffortschritt bleibt hinter den Erwartungen zurück. Schätzungen auf Basis eines Modells für den Zusammenhang zwischen Eindämmungsmaßnahmen (Oxford COVID-19 Government Response Tracker, Stringency Index), wirtschaftlicher Mobilität (Google Mobility Data), Corona-Neuinfektionen und Todesfällen mit Daten aus 44 Ländern deuten darauf hin, dass die jüngsten Lockerungen die wirtschaftliche Mobilität um mehr als zehn Prozentpunkte ansteigen lassen und die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle in Deutschland um 25% erhöhen. Da sowohl ein fortgesetzter Lockdown als auch Lockerungen erhebliche negative Konsequenzen mit sich bringen, ist es umso wichtiger, durch eine bessere Test- und Quarantänestrategie und durch eine höhere Geschwindigkeit beim Impfen weitere Lockerungen zu ermöglichen, ohne damit die Gesundheit der Menschen zu gefährden.

18. März 2021

Autoren Oliver Holtemöller Malte Rieth

Inhalt
Seite 1
Einleitung
Seite 2
Lockerungen und steigende Corona-Fallzahlen
Seite 3
Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Einleitung

Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, haben viele Länder Einschränkungen der Mobilität und des öffentlichen Lebens vorgenommen. Beispiele für solche Maßnahmen sind Schul- und Betriebsschließungen, Absagen von Großveranstaltungen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, Schließung des öffentlichen Personenverkehrs, Ausgangsbeschränkungen sowie Einschränkungen der nationalen und internationalen Reisefreiheit. Die Gesamtintensität dieser Maßnahmen ist gemessen anhand des Oxford COVID-19 Government Response Tracker (Stringency Index) in Deutschland im Zuge der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 auf ein hohes Niveau gestiegen (vgl. Abbildung 1). Im Sommer 2020 wurden einige Maßnahmen zurückgenommen oder gelockert. Seit Mitte Oktober 2020 wurden die Maßnahmen wieder verschärft: Die Gastronomie wurde im November geschlossen; weite Teile des Einzelhandels und allgemeinbildende Schulen Mitte Dezember. Die Mobilität, die auch für viele ökonomische Aktivitäten eine große Bedeutung hat, spiegelt das Niveau der Eindämmungsmaßnahmen wider (vgl. Abbildung 2).

Empirische Evidenz belegt, dass Einschränkungen des öffentlichen Lebens einerseits geeignet sind, die Anzahl der Corona-Neuinfektionen zu mindern; allerdings haben immer weitere Eindämmungsmaßnahmen tendenziell immer kleinere Effekte auf die Anzahl der Neuinfektionen (Bendavid et al. 2021)1 und auf die Anzahl der Todesfälle. Andererseits beeinträchtigen die Eindämmungsmaßnahmen die ökonomische Aktivität; je länger die Eindämmungsmaßnahmen andauern und je intensiver sie sind, desto höher fallen die unmittelbaren ökonomischen Kosten der Eindämmungspolitik aus. So können etwa Umsatzausfälle zu Unternehmensinsolvenzen führen (Holtemöller und Muradoglu 2020)2. Somit besteht ein gewisser Zielkonflikt zwischen der Reduktion der Todesfälle und der schwerwiegenden Krankheitsverläufe und der Vermeidung von wirtschaftlichen Einbußen.3 Das bedeutet zwar nicht, dass es nicht auch aus ökonomischer Perspektive bei mittel- bis langfristiger Betrachtung optimal ist, ein gewisses Maß an mit Eindämmungsmaßnahmen einhergehenden Einkommensverlusten in Kauf zu nehmen (Holtemöller 2020)4. Aber es bedeutet, dass bei der Entscheidung über die Ergreifung oder die Zurücknahme von Eindämmungsmaßnahmen die verschiedenen Effekte gegeneinander abgewogen werden müssen.

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