Der Mindestlohn steigt deutlich stärker als Preise und Produktivität

Die Mindestlohnkommission hat am heutigen Tag beschlossen, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn in Deutschland zum 01.01.2017 um 4% auf 8,84 Euro steigen soll. Dieser Anstieg liegt deutlich über dem Anstieg der Lebenshaltungskosten und dem Produktivitätsfortschritt. Daher verschlechtert sich die Profitabilität betroffener Unternehmen noch einmal spürbar.

Autoren Oliver Holtemöller

„Es wäre besser, den Mindestlohn jeweils nur in moderaten Schritten zu erhöhen. Die heutige Entscheidung ist nicht ausgewogen und dürfte vor allem in Ostdeutschland auch negative Folgen haben“, sagt Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Leiter der dortigen Abteilung Makroökonomik. Als Instrument zur Armutslinderung bleibt der Mindestlohn nach wie vor ungeeignet.

Die Mindestlohnkommission besteht aus insgesamt sieben stimmberechtigten (Vorsitz, je drei Vertreter bzw. Vertreterinnen für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen) sowie zwei beratenden Mitgliedern. Laut Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission orientiert sie sich bei der Festsetzung des Mindestlohns an der Entwicklung des Tarifindex des Statistischen Bundesamts ohne Sonderzahlungen, der um 3,2% gestiegen ist. Uneinigkeit gab es bis kurz vor Verabschiedung bezüglich des Einbezugs der Abschlüsse der Metall- und Elektroindustrie sowie des Öffentlichen Dienstes (Bund und Kommunen). Diese sind bereits beschlossen, jedoch nicht in der o. a. Tarifentwicklung enthalten.

Eineinhalb Jahre nach Einführung des Mindestlohns gehen viele Beobachter und Beobachterinnen davon aus, dass der Mindestlohn keine oder nur moderate negative Beschäftigungseffekte mit sich gebracht hat. Die tatsächliche Entwicklung steht qualitativ im Einklang mit der Prognose der Wirtschaftsforschungsinstitute, darunter das IWH, aus dem Frühjahr 2014. Die Institute hatten seinerzeit geschätzt, dass durch den Mindestlohn 260 000 Minijobs im Jahr 2015 verlorengehen würden und im Gegenzug 77 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen würden. Der tatsächliche Rückgang der Anzahl der Minijobs im gewerblichen Bereich im Jahr 2015 beläuft sich auf 166 000. Diese Zahl wird davon überlagert, dass in einigen Bereichen unabhängig vom Mindestlohn eine sehr günstige Beschäftigungsentwicklung vorliegt. Wie viele der weggefallenen Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Eine regional differenzierende Analyse deutet allerdings darauf hin, dass insgesamt weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch Umwandlung von Minijobs entstanden als Minijobs weggefallen sind. Ferner ist weiterhin unklar, wie die Arbeitszeit von betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auf die Einführung des Mindestlohns reagiert hat. In den besonders vom Mindestlohn betroffenen ostdeutschen Bundesländern ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit Ungelernter deutlich gesunken. Dass der Mindestlohn bislang nicht zu größeren Beschäftigungseffekten geführt hat, liegt auch daran, dass die Unternehmen Kostensteigerungen angesichts der guten konjunkturellen Grundtendenz über Preiserhöhungen überwälzen konnten; insbesondere bei der Personenbeförderung, bei der Reinigung und Reparatur von Kleidung, bei nichtmedizinischen Gesundheitsdienstleistungen und bei Zeitungen und Zeitschriften waren nach der Einführung des Mindestlohns bei Weitem überdurchschnittliche Preissteigerungen beobachtbar.

In der nächsten Rezession dürfte eine zu hohe Lohnuntergrenze die Unternehmen jedoch vor größere Probleme stellen und könnte dann auch negative Beschäftigungseffekte haben. Zudem werden durch den Mindestlohn langfristig weniger neue Jobs entstehen. Davon ist Ostdeutschland stärker betroffen als Westdeutschland, hier ist die Arbeitslosigkeit immer noch deutlich höher und der Anteil der vom Mindestlohn betroffenen Arbeitnehmer deutlich höher. Die negativen Effekte des Mindestlohns werden umso gravierender, je stärker der Eingriff in die Marktpreise ist. Je höher der Mindestlohn, desto wahrscheinlicher sind negative Beschäftigungseffekte. Die durch den Mindestlohn induzierte Erhöhung der Durchschnittslöhne ist im Gastgewerbe sowie in der Landwirtschaft, insbesondere in Ostdeutschland, am stärksten ausgeprägt.

Die gegenwärtig nur geringen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns sind jedoch kein Grund, dieses Instrument nicht weiter deutlich zu kritisieren. Der Mindestlohn ist eine verteilungspolitische Nebelkerze. Er ist zur Reduktion von Armut kaum geeignet. Besonders ausschließlich geringfügig Beschäftigte (Minijobs) und Teilzeitbeschäftigte sind vom Mindestlohn betroffen. Diese Menschen können auch mit Mindestlohn nicht von ihren Lohneinkünften leben. Sie sind oft auf Transferleistungen des Staates angewiesen – mit und ohne Mindestlohn. Rechnet man Lohn und Sozialleistungen zusammen, profitieren sie nicht. Es profitieren lediglich diejenigen, die gleichzeitig nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, ihren Job behalten und mindestens die gleiche Stundenzahl wie zuvor arbeiten. „Armutsbekämpfung muss an den wichtigsten Ursachen von Armut ansetzen: zu geringe Qualifikation (häufig auch fehlender Schulabschluss), Krankheit und nicht ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten insbesondere für Alleinerziehende“, so die Einschätzung Holtemöllers.

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