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Begleitende Evaluierung des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) und des STARK-Bundesprogramms. Zwischenbericht vom 30.06.2023

Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz

Das Klimaschutzgesetz (KSG) sieht eine Reduktion der deutschen Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber den Emissionen im Jahr 1990 vor. Der Ausstieg aus der thermischen Verwertung der Kohle (vor allem der Braunkohle) leistet einen substanziellen Beitrag zum Erreichen dieser Ziele. Der Kohleausstieg stellt die Braunkohlereviere (und die Standorte der Steinkohlekraftwerke) jedoch vor strukturpolitische Herausforderungen. Um den Strukturwandel in diesen Regionen aktiv zu gestalten, hat der Bundestag im August 2020 mit Zustimmung des Bundesrats das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) beschlossen. Über dieses Gesetz stellt der Bund bis zum Jahr 2038 Finanzhilfen von 41,09 Mrd. Euro zur Verfügung. Im Fokus der Politikmaßnahmen stehen verschiedene Ziele, vor allem gesamtwirtschaftliche (Wertschöpfung, Wachstum, Steueraufkommen), wettbewerbliche (Produktivität), arbeitsmarktpolitische (Beschäftigung, Beschäftigungsstrukturen), verteilungspolitische (regionale Disparitäten) sowie klimapolitische (Treibhausgasreduzierung, Nachhaltigkeit). Die im StStG vorgesehenen strukturpolitischen Interventionen umfassen ein breites Maßnahmenbündel. Das Gesetz regelt auch die Berichtspflichten der Bundesregierung gegenüber Bundestag und Bundesrat. Diese beinhalten insbesondere die wissenschaftliche Evaluierung des Gesetzes in einem zweijährigen Zyklus. Bei dem vorliegenden Bericht handelt es sich um das erste Dokument in dieser Reihe. Der aktuelle Bericht fokussiert sich dabei insbesondere auf die im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) und des STARK-Bundesprogramms geplanten Maßnahmen sowie die vorläufige Bewertung ihrer möglichen Effekte. Angesichts des Programmstarts im Jahr 2020 und einer fast zwanzigjährigen Laufzeit des Programms kann der Bericht allenfalls einen ersten Zwischenstand wiedergeben. Viele Maßnahmen haben noch nicht oder gerade erst begonnen. Die hier vorgelegten empirischen Analysen basieren auf dem Datenstand vom 31.12.2022. Es ist vorgesehen, den Bericht in einem jährlichen Rhythmus zu aktualisieren und zu erweitern.

16. August 2023

Autoren Matthias Brachert Katja Heinisch Oliver Holtemöller Florian Kirsch Uwe Neumann Michael Rothgang Torsten Schmidt Christoph Schult Anna Solms Mirko Titze

Die Reduzierung der Treibhausgase nimmt für den gesetzlich fixierten Klimaschutz einen bedeutenden Stellenwert ein. Das Erreichen der Emissionsreduktionsziele stellt Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Energiewirtschaft kann hierzu einen substanziellen Beitrag leisten. Im Fokus dieses Sektors steht der Ausstieg aus der thermischen Verwertung von (Braun)Kohle.

Die Beendigung der Kohleförderung und -verstromung zieht wirtschaftliche und soziale Anpassungen nach sich. Auch wenn der Kohlesektor im deutschen Maßstab kaum noch eine Rolle für Produktion und Beschäftigung spielt, so ändert sich dieses Bild jedoch, wenn die regionale Ebene in den Fokus rückt. Aufgrund natürlicher Gegebenheiten weist die Kohleindustrie eine hohe regionale Konzentration auf. Aus diesem Grund sind einzelne Regionen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht besonders von den Ausstiegsmaßnahmen betroffen. Die deutsche Politik war sich dieses Zielkonflikts bewusst und hat nach umfangreichen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen parallel zum Kohleausstieg (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, KVBG) Kompensationsmaßnahmen (Strukturstärkungsgesetz, StStG) beschlossen, um den Prozess wirtschaftlich und sozial verträglich zu gestalten.

Kern des StStG ist das Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG), über das der Bund 41,09 Mrd. Euro für Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Kohleausstiegs bereitstellt. Im Rahmen der ersten Säule können die Länder über 14 Mrd. Euro in eigener Regie verfügen. Hinzu kommen die 1,09 Mrd. Euro für die Standorte der Steinkohlekraftwerke sowie das ehemalige Helmstedter Revier und den Landkreis Altenburger Land. Die Verwendung der restlichen 26 Mrd. Euro in der zweiten Säule verantwortet der Bund, wobei die Länder hier ein Vorschlagsrecht ausüben. Den Zugang zum InvKG-Programm hat der Gesetzgeber auf ein Gebiet von 34 Kreisen und kreisfreien Städten begrenzt. Gleichzeitig liegen die InvKG-Regionen in Gebieten, die ohnehin durch Strukturschwächen gekennzeichnet sind.

Die Auswertung relevanter makroökonomischer Größen zeigt, dass sich die InvKG-Regionen vor Inkrafttreten des Gesetzes durchaus positiv entwickelt haben. Die Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sind überdurchschnittlich, und die Arbeitslosenquoten haben sich merklich reduziert. Allerdings deutet sich in diesen Analysen bereits an, dass sich – insbesondere in der (brandenburgischen) Lausitz und im sachsen-anhaltinischen Teil des Mitteldeutschen Reviers – das Arbeitskräfteangebot als große Herausforderung für die weitere regionale Entwicklung darstellt. Die wichtigste Determinante für das sinkende Arbeitskräfteangebot ist der dramatische demografische Wandel. Die Wachstumszerlegung hat gezeigt, dass der Rückgang des Arbeitskräfteangebots die wirtschaftliche Entwicklung in den genannten Gebieten bereits in der Vergangenheit gebremst hat.

Der Ausstieg aus der Braunkohleförderung und ihrer thermischen Verwertung hat nicht erst mit der Verabschiedung des KVBG und des InvKG begonnen, sondern schon in den 1990er Jahren. Mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit gab es eine erste große Welle einer Reduktion der Produktionsmenge in den ostdeutschen Revieren. Die Fördermenge hat sich in der ersten Dekade der 2000er Jahre stabilisiert und sank dann in den 2010er Jahren kontinuierlich ab. Allerdings hat sich die Fördermenge seit 2020 im Lausitzer und im Rheinischen Revier wieder etwas erhöht wegen der Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs. Ähnlich verhält es sich mit der Beschäftigung. Diese ist seit den 2000er Jahren über alle Reviere hinweg kontinuierlich bis zum Jahr 2020 gesunken.

Die im InvKG vorgesehenen Maßnahmen weisen eine große Vielfalt auf, die verschiedene ökonomische Wirkungskanäle adressieren und ihre Wirkungen in unterschiedlichen Zeithorizonten entfalten. Um Wirkungen dieser Vielzahl von Einzelmaßnahmen schätzen zu können, ist eine Informationsverdichtung notwendig. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Kategorisierung niemals vollkommen objektiv sein kann. Statistische Verfahren können dazu beitragen, die Kategorisierung weniger „willkürlich“ vorzunehmen. Dies gestaltet sich bei einem Programm, das gerade erst angelaufen ist, als schwierig, da bislang kaum Daten zu den Projektcharakteristika vorliegen. Aus diesem Grund wurden Maßnahmencluster auf Basis der (regional)ökonomischen Literatur gebildet. Dabei haben sich die folgenden acht Cluster als geeignet erwiesen: 1 – Erreichbarkeit, 2 – Bildung, 3 – Kultur, 4 – Gesundheit, 5 – Standorte für Betriebe, 6 – Forschung und Entwicklung, 7 – Klima und Nachhaltigkeit, 8 – Sozialkapital. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Schwerpunkte in den Regionen über die erste und die zweite Säule (sowie in der Gesamtschau) miteinander zu vergleichen.

Um den Transformationsprozess in den Kohleregionen über einen Zeitraum von 18 Jahren mit öffentlichen Maßnahmen zu flankieren und zu unterstützen, mussten zunächst die entsprechenden Strukturen und Gremien geschaffen werden, um geeignete Projekte zu entwickeln, zu planen und durchzuführen. Aus diesem Grund sind bisher sehr wenige Projekte abgeschlossen. Allerdings zeigt die Auswertung der bislang vorliegenden Förderstatistiken (Datenstand ist der 31.12.2022) für die erste Säule, dass die Länder der Braunkohleregionen – bis auf NRW – mit ihren Vorhaben in der Pipeline die Budgets der ersten Förderperiode gut ausgeschöpft haben. Alle Länder eint, dass ein Schwerpunkt ihrer Maßnahmen auf der Verbesserung von Standortbedingungen für Betriebe liegt, insbesondere im Land Sachsen-Anhalt. Die Länder Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen weisen darüber hinaus einen Schwerpunkt ihrer Fördermaßnahmen in den Kategorien Bildung sowie Forschung und Entwicklung auf. Die Verbesserung von Erreichbarkeiten spielt in den Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sowie im sächsischen Teil des Mitteldeutschen Reviers eine große Rolle.

Im Hinblick auf den Mitteleinsatz in der zweiten Säule gibt es in allen Ländern einen Schwerpunkt bei der Verbesserung von Erreichbarkeiten. Die Länder Brandenburg und Sachsen legen zudem auch in dieser Säule Schwerpunkte auf die Kategorien Bildung sowie Forschung und Entwicklung. Zur zweiten Säule gehört formell auch das STARK-Bundesprogramm. Hier setzen alle vier Braunkohleländer einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Standortbedingungen für Betriebe. Die Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt fokussieren sich zusätzlich auf Projekte in der Kategorie Forschung und Entwicklung.

Darüber hinaus wurden in diesem Bericht Basisprojektionen des Produktionspotenzials und der Wachstumsbeiträge der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und totale Faktorproduktivität für die Kreise der Kohleregionen erstellt. Die Projektionen basieren auf der wirtschaftlichen Entwicklung bis 2019, dem Jahr vor dem Start des InvKG und liefern Hinweise auf die Frage, was passieren würde, wenn es den Kohleausstieg und die Maßnahmen des InvKG nicht gäbe. Der Prognosezeitraum umfasst die Periode 2020-2040. Die Berechnungen offenbaren, dass für alle Regionen die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots eine Herausforderung darstellt. Besonders für den brandenburgischen Teil des Lausitzer Reviers stellt das zurückgehende Arbeitsangebot ein Wachstumshemmnis dar. Während in allen anderen Regionen das Produktionspotenzial ausgeweitet wird, stagniert es in dieser Region weitgehend.

Die abschließenden Untersuchungen in diesem Bericht widmen sich der Beschreibung der Arbeitsmarktentwicklung (Beschäftigte, Arbeitslose und offene Stellen) nach dem Start des InvKG als Vergleich zwischen den Förderregionen gegenüber einer geeigneten Kontrollgruppe an Kreisen. Zu den kausalen Zusammenhängen lässt sich zum gegenwärtigen Stand der Untersuchungen noch kein abschließendes Urteil fällen. Jedoch erkennt man, dass sich seit Förderbeginn die Arbeitsmarktentwicklung zwischen InvKG-Fördergebiet und Kontrollkreisen kaum unterscheidet. Die Interpretation dieser Ergebnisse wird auch dadurch erheblich erschwert, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Zeitraum von 2020 und 2021 durch die Covid-19-Pandemie und im Jahr 2022 durch die Energiekrise erheblich verzerrt wurde. Eine weitergehende Analyse wird erst möglich sein, wenn mit Zeitablauf und umfassenderer Datenverfügbarkeit ein „Hindurchblicken“ durch diese Ereignisse möglich sein wird.

Vor dem Hintergrund der bislang erfolgten Untersuchungen leitet der Bericht Empfehlungen für mögliche Anpassungsbedarfe des Förderprozesses ab. Diese bestehen aktuell in administrativer und auch in inhaltlicher Hinsicht. Erforderliche Nachjustierungen für administrative Prozesse ergeben sich etwa aus dem Umstand, dass die Ausgabespielräume in zeitlicher Hinsicht zu eng definiert sind. Die Analysen haben gezeigt, dass die Bewilligungsprozesse und die Durchführung der Projekte einige Zeit in Anspruch nehmen und bislang nur relativ wenig Mittel – gemessen am insgesamt zur Verfügung stehenden Budget – tatsächlich abgeflossen sind. Das könnte dazu führen, dass womöglich nicht alle Mittel in der Programmperiode abgerufen werden. Um die Budgets vollständig auszuschöpfen, könnten die Bewilligungsbehörden in diesen Fällen geneigt sein, kurzfristig umsetzbare Projekte auszuwählen, die allerdings nicht den höchsten Beitrag zur Erfüllung der InvKG-Ziele liefern. Für die EU-Programmperiode hat sich die „n+“-Regel etabliert, die eine zeitliche Streckung von Ausgaben über Förderperioden hinweg zulässt. Anpassungsbedarfe auf inhaltlicher Sicht ergeben sich zum jetzigen Erkenntnisstand vor allem im Hinblick auf den Ausbau und die Sicherung des Arbeitskräfteangebots, der sich in einigen Regionen des Fördergebiets als entscheidendes Wachstumshemmnis herausstellt. Maßnahmen des InvKG sollten diesem Aspekt zukünftig ein stärkeres Gewicht beimessen, und zwar in der ganzen Breite, beginnend bei (vor)schulischer Ausbildung über tertiäre Bildung, Erschließen bislang ungenutzter Erwerbspersonenpotenziale, Verbesserung der Erreichbarkeiten zur Erschließung breiterer Arbeitsmarktpotenziale und gesteuerter Migration von (ausländischen) Fachkräften.

Die weiteren Arbeiten der Begleitforschung werden eine Verbesserung und Erweiterung der Datenbasis zu den konkreten Maßnahmen auf Projektebene vornehmen. Mit diesen Daten werden dann Analysen auf regional und sektoral disaggregierterer Ebene durchgeführt. Dabei werden auch die weiteren Kriterien der Bundeshaushaltsordnung berücksichtigt. Es sei darauf hingewiesen, dass etwaige positive Wirkungen auf die Fördergebiete insgesamt erst in der mittleren bis längeren Frist zu erwarten sind.

Empfohlene Publikationen

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Begleitende Evaluierung des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) und des STARK-Bundesprogramms. Endbericht zur Auftragserweiterung

Matthias Brachert Katja Heinisch Oliver Holtemöller Florian Kirsch Uwe Neumann Michael Rothgang Torsten Schmidt Christoph Schult Anna Solms Mirko Titze

in: IWH Studies, Nr. 5, 2023

Abstract

<b>Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz </b><br /><br />Das vorliegende Kurzgutachten befasst sich mit der Analyse des aktuellen Standes der Maßnahmen des StStG. Ausgangspunkt für die Analysen stellt eine Auswertung der aktuellen Literatur zum Strukturwandel in den deutschen Kohlerevieren dar. Dieser Literaturüberblick zeigt, dass die Förderregionen im Geltungsbereich des StStG sehr unterschiedliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels aufweisen. Dennoch sollten die Maßnahmen in allen Regionen an den wichtigen Determinanten des Wirtschaftswachstums ansetzen, wobei sie auf die Gegebenheiten der Regionen abgestimmt sein sollten. Dabei sind vor allem Investitionen als zentraler Bestimmungsfaktor für die langfristige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzusehen. Diese setzen sich aus privaten Investitionen in Sachkapital, Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit dem Ziel des technologischen Fortschritts, Ausgaben für Bildung zur Erhöhung des Humankapitals sowie Investitionen in den öffentlichen Kapitalstock, etwa die Verkehrsinfrastruktur, zusammen. Dabei werden langfristig Bildung und Forschung und Entwicklung als wichtigste Wachstumstreiber angesehen, an denen die Förderung des Strukturwandels entsprechend ansetzen sollte. Auch sollte das Augenmerk auf die Diffusion und den Transfer von Wissen und Technologien gerichtet sein. Kritische Anmerkungen weisen in die Richtung, dass vor allem Infrastrukturprojekte Unterstützung durch StStG-Mittel erhalten, die ohnehin durchgeführt worden wären und dass die Kommunen die StStG-Mittel als Erweiterung ihrer Haushaltsspielräume betrachten.

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