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Die Schließung von Polizeiposten führt zu einem Anstieg der Diebstahlkriminalität

Die Zusammenlegung von Polizeikräften durch die Schließung von Polizeiposten ist ein vielbeobachtetes Phänomen in entwickelten Volkswirtschaften. Polizeiposten stellen einen bedeutenden und sichtbaren Teil der öffentlichen Infrastruktur dar. Als Ergebnis der vorliegenden Studie zeigt sich, dass die Schließung von Polizeiposten zu einem Anstieg von Autodiebstählen und Wohnungseinbrüchen führt. Diese Resultate können nicht durch Verdrängungseffekte in andere Regionen, veränderte Einsatzstrategien der Polizeieinheiten oder eine geringere Inhaftierung von Kriminellen erklärt werden. Vielmehr sind sie konsistent mit einer veränderten Wahrnehmung der Aufklärungswahrscheinlichkeit. Somit zeigt sich, dass die Sichtbarkeit von lokalen Polizeiposten zur Abschreckung und demnach zur Kriminalitätsbekämpfung beiträgt.

10. März 2023

Autoren André Diegmann Sebastian Blesse

Inhalt
Seite 1
Institutioneller Rahmen und Datenverfügbarkeit
Seite 2
Zunahme der Kriminalität infolge von Polizeipostenschließungen
Seite 3
Was bedeutet dies für die Politik?
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Die Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen kommunalen Daseinsvorsorge stellt eine zentrale Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland dar. In den vergangenen Jahren kam es häufig zu Bemühungen um mehr Zentralität in der kommunalen Bereitstellung öffentlicher Leistungen, etwa durch die Fusion von Gemeinden oder interkommunale Zusammenarbeit. Ziel solcher Zusammenlegungen und Kooperationen ist es, die kommunale Daseinsvorsorge effizienter und professioneller aufzustellen.1 Jedoch können Zentralisierungen in der Bereitstellung von öffentlichen Gütern weitreichende Konsequenzen für den regionalen Zugang zu diesen Gütern haben und regionale Disparitäten in der kommunalen Daseinsvorsorge verschärfen.

Dieser Beitrag betrachtet eine Form der Zentralisierung aus dem Bereich der öffentlichen Sicherheit: die Schließung und Zusammenlegung von Polizeiposten. Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte kam es in vielen entwickelten Volkswirtschaften zu einer Zentralisierung der Polizeiorganisation durch eine substanzielle Verringerung der Anzahl lokaler Strafverfolgungsbehörden. Die Auswirkungen dieser Reorganisation auf das lokale Kriminalitätsgeschehen sind bisher nicht umfänglich verstanden. Dieser Beitrag bietet – basierend auf einer im Journal of Public Economics veröffentlichten Studie der Autoren2 – empirische Evidenz im quasi-experimentellen Kontext für Deutschland, indem er das Kriminalitätsgeschehen in Regionen, in denen Polizeiposten geschlossen wurden, mit ähnlichen Regionen vergleicht, die nicht von solchen Schließungen betroffen waren. Abschließend werden die Ergebnisse in die aktuelle Literatur und die politische Diskussion um die kommunale Daseinsvorsorge eingeordnet.

Institutioneller Rahmen und Datenverfügbarkeit

Abgesehen von den bundesweit organisierten Grenzkontrollen, der Asylgesetzgebung und der Luftsicherheit ist die Polizeiorganisation in Deutschland auf Länderebene geregelt. Um den Effekt von Polizeiposten und deren Schließung zu analysieren, werden Daten einer umfassenden Reform der Polizeiorganisation in Baden-Württemberg genutzt. Im bundesweiten Maßstab wie auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zeichnet sich Baden-Württemberg durch eine relativ geringe Anzahl an Straftaten pro Kopf aus. Bis zum Reformjahr 2004 waren die lokalen Polizeieinheiten – mit mehr als 570 Polizeiposten – in dem südwestlichen Bundesland in hohem Maße dezentral organisiert. Rund ein Polizeiposten kam dabei im Schnitt auf jede zweite Gemeinde. Mit dem Ziel der Schließung von 100 Polizeiposten wurden im Oktober 2003 die Polizeipräsidien von der Landesregierung aufgefordert, die Polizeiposten als lokale Organisationseinheit der Polizeidienststellen zu optimieren und entsprechende Kandidaten für die Schließung und Zusammenlegung zu präsentieren. Motiviert mit Effizienzargumenten und unter der Beachtung von Kriterien wie der Auslastung der Polizeieinheiten und einer vorgegebenen Verfügbarkeit von Polizisten pro Einwohner wurde im März 2004 öffentlich bekanntgegeben, dass statt der 100 Posten mehr als 200 Polizeiposten ohne Beeinträchtigungen für die öffentliche Sicherheit geschlossen würden.

Abbildung 1 zeigt die Anzahl der Schließungen und die verbleibende Anzahl von Polizeiposten im Zeitverlauf zwischen 1995 und 2011. Zwar gab es bereits im Vorfeld der Reform einzelne Schließungen, in den Jahren ab 2004 kam es jedoch zu einer systematischen Verringerung der verfügbaren Posten aufgrund der schrittweise durchgeführten Reorganisation. Da diese Reform nicht mit einer Reduzierung der Einsatzkräfte verbunden war, kam es im Zuge der Reorganisation zu einem deutlichen Anstieg in der Anzahl der Polizisten pro Posten von rund 4 auf 5,5. Das Ausbleiben von Entlassungen erlaubt es uns, die lokale Verfügbarkeit und Sichtbarkeit der Posten zu analysieren. Die entsprechenden Effekte werden somit nicht von möglichen Änderungen in der Anzahl und Qualität von Einsatzkräften kompromittiert.

Abbildung 2 zeigt beispielhaft für den Ostalbkreis (blaue Umrahmung) Gemeinden mit einer Postenschließung, markiert mit einem orangen Kreuz. Typischerweise wurden Posten innerhalb der Revierzugehörigkeit geschlossen und die Polizeitruppen in andere Posten und Reviere integriert. Auf Ebene der Reviere, die in der Regel innerhalb einzelner Landkreise organisiert sind, kam es im Zuge der Reform zu keiner Änderung. Die umgesiedelten Polizeieinheiten waren demnach weiterhin für die alten Gemeinden zuständig; sie hatten jedoch zum Patrouillieren eine weitere Anfahrt bis in die jeweiligen Gemeinden ihres (alten und auch neuen) Verantwortungsbereichs.

Die Daten der Polizeistrukturreform, die auf der regionalen Ebene der Gemeinde aggregiert werden, ergänzen wir durch polizeiliche Kriminalstatistiken (Anzahl der Fälle, Aufklärungsraten, Charakteristika der Tatverdächtigen), die den Autoren von Mitarbeitern des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt wurden. Diese Daten enthalten detaillierte Informationen zur lokalen Diebstahlkriminalität im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik. Um die Robustheit der Ergebnisse zu gewährleisten und um für lokale Ausstrahlungseffekte in Nachbarschaftsgemeinden zu testen, nutzen wir zudem entsprechende Kriminalstatistiken vom Landeskriminalamt Hessen.

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Zunahme der Kriminalität infolge von Polizeipostenschließungen

Empfohlene Publikationen

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The Place-based Effects of Police Stations on Crime: Evidence from Station Closures

Sebastian Blesse André Diegmann

in: Journal of Public Economics, March 2022

Abstract

Many countries consolidate their police forces by closing down local police stations. Police stations represent an important and visible aspect of the organization of police forces. We provide novel evidence on the effect of centralizing police offices through the closure of local police stations on crime outcomes. Combining matching with a difference-in-differences specification, we find an increase in reported car theft and burglary in residential properties. Our results are consistent with a negative shift in perceived detection risks and are driven by heterogeneous station characteristics. We can rule out alternative explanations such as incapacitation, crime displacement, and changes in police employment or strategies at the regional level. We argue that criminals are less deterred due to a lower visibility of the local police.

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Kommentar: Subventionen für Halbleiter?

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Mit dem „European Chips Act“ will die EU mehr als 40 Mrd. Euro ausgeben, um bei systemwichtigen Technologien unabhängiger von China zu werden und im Subventionswettlauf mit den USA nicht zurückzufallen. Doch sowohl das geostrategische Argument als auch die Effizienz und Nachhaltigkeit der Subventionen sind fragwürdig.

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Aktuelle Trends: Wirtschaftswachstum und sinkende CO2-Emissionen schließen sich nicht aus

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Die Gaspreise haben sich in Deutschland infolge des Lieferstopps russischen Erdgases deutlich erhöht, mit möglichen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Wir berechnen den Gasverbrauch auf Produktebene für die Zeit vor der Energiekrise mit Hilfe der Mikrodaten der amtlichen Statistik, um zielgenau abschätzen zu können, bei welchen Produkten eine Drosselung der Produktion zur maximalen Gaseinsparung bei minimalen wirtschaftlichen Verlusten führen würde. Die Verwendung von Mikrodaten zeigt, dass die Folgen für Umsatz und Wertschöpfung in der Industrie bei Weitem nicht so negativ ausfallen werden wie von vielen befürchtet.

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