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IWH-Flash-Indikator IV. Quartal 2022 und I. Quartal 2023

Im dritten Quartal 2022 konnte die Wirtschaftsleistung in Deutschland mit 0,3% nochmals zulegen. Vor allem die privaten Haushalte waren in Sommerlaune und konsumierten großzügig; die Erholung von der Pandemie dominierte bislang die negativen Folgen der hohen Energiepreise. Jedoch dürften ab Herbst die weiter ansteigenden Verbraucherpreise und die Energieprobleme die Kauflaune der privaten Haushalte deutlich dämpfen. Zudem werden energieintensive Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes wegen der gestiegenen Gas- und Strompreise ihre Produktion wohl weiter einschränken. Die Lieferkettenprobleme sind zwar etwas zurückgegangen, sie sind aber nicht zuletzt aufgrund der restriktiven COVID-Maßnahmen in China nach wie vor vorhanden. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht in Sicht. Auch deshalb gehen die Auftragseingänge weiter deutlich zurück. Dies alles dürfte dazu führen, dass das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 schrumpft und Deutschland damit in eine Rezession rutscht. Insgesamt wird die Wirtschaftsleistung laut IWH-Flash-Indikator im vierten Quartal 2022 um 0,6% und zu Beginn des nächsten Jahres um 0,3% zurückgehen (vgl. Abbildung 1).

15. November 2022

Autoren Katja Heinisch Oliver Holtemöller Axel Lindner Birgit Schultz

Im dritten Quartal 2022 konnte sich die deutsche Wirtschaft mit einem leichten Zuwachs von 0,3% noch gegen den Abschwung stemmen. Insbesondere die privaten Konsumausgaben trugen dazu bei. Wenngleich es beim Einzelhandel reale Umsatzrückgänge aufgrund der stark gestiegenen Verbraucherpreise gab, so dürften wohl insbesondere Reisen wie beispielsweise Bahnfahrten mit dem 9-Euro-Ticket zu einem kräftigeren Zuwachs des privaten Konsums geführt haben. Dies wird sich aufgrund des Auslaufens des 9-Euro-Tickets sowie der Kraftstoff-Steuervergünstigung in den nächsten Quartalen so nicht fortsetzen. Zwar wurde die geplante Erdgasumlage nicht eingeführt, stattdessen gibt es Entlastungen wie eine temporäre Senkung der Umsatzsteuer bei Erdgas und eine Gas- und Strompreisbremse. Das Kindergeld wird ab Be- ginn 2023 deutlich erhöht. Zudem soll die kalte Progression bei der Einkommensteuer abgebaut und ein Bürgergeld als Ersatz für das Arbeitslosengeld II eingeführt werden. Trotz all dieser staatlichen Maßnahmen dürfte der reale private Konsum aufgrund der weiter anziehenden Verbraucherpreise zurückgehen. Darauf deutet auch die laut GfK sehr schwache Verbraucherstimmung hin. „Der kräftige Anstieg der Verbraucherpreise dürfte sich noch einige Monate fortsetzen, da die Unternehmen noch immer in einer Phase sind, ihre eigenen Kostensteigerungen sukzessive an die Verbraucher weiterzugeben“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Neben den drastisch erhöhten Energiepreisen und weiteren Kostensteigerungen bei Vorleistungen dürften zur Kostenbelastung der Unternehmen auch die Mindestlohnerhöhung und der Anstieg der Lohnnebenkosten ab 2023 beitragen.

Im Verarbeitenden Gewerbe waren die Auftragseingänge im September aus dem Inland weiter schwach, aus dem Ausland sind sie deutlich zurückgegangen. Laut ifo Konjunkturumfrage im Oktober ist das Geschäftsklima düster. Allerdings haben sich die Geschäftserwartungen im Vergleich zum September nicht weiter verschlechtert, und die Auftragsbestände sind immer noch recht hoch. Auch war man im Handel und im Dienstleistungssektor etwas weniger pessimistisch. Hingegen verschlechterten sich im Verarbeitenden Gewerbe und Bauhauptgewerbe die Perspektiven nochmals. Zudem sank der S&P Global/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) durch kräftige Rückgänge in der Produktion und bei den Auftragseingängen im Oktober erneut. Diesen Pessimismus teilen auch die vom ZEW befragten Finanzmarktexperten. Durch die geldpolitische Wende der EZB wurde zwar ein Signal gegen die hohe Inflation gesetzt, allerdings verteuerten sich damit auch die Kredite für Unternehmen und private Haushalte. So haben sich laut Bank Lending Survey die Finanzierungsbedingungen drastisch verschärft und dürften sich auch in den kommenden drei Monaten weiter verschlechtern. „Nachdem die deutsche Wirtschaft überraschend das dritte Quartal mit einem kleinen Zuwachs abschließen konnte, dürfte im vierten Quartal 2022 wohl der Beginn einer Rezession nicht mehr vermeidbar sein. Zu viele gleichzeitig auftretende gravierende Krisengründe dürften selbst die bisher recht resiliente deutsche Wirtschaft spürbar schwächen“, meint Oliver Holtemöller.

Von der Außenwirtschaft sind keine positiven Impulse zu erwarten. Nach wie vor belasten der russische Krieg in der Ukraine, die hohen Risiken für die Versorgung Europas mit Energie, die sehr hohen Inflationsraten in den USA, Europa und vielen anderen Ländern, die scharfe Wende in der Geldpolitik in den USA und in Europa sowie das permanente Lockdown-Risiko in China die Weltkonjunktur. Allerdings haben sich die Aussichten seit dem Sommer alles in allem nicht verschlechtert: Im dritten Quartal gab es in China nach dem Lockdown-bedingten Einbruch vom Frühjahr wieder einen deutlichen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts, in den USA legte es nach zwei negativen Quartalen wieder zu, und selbst im Euroraum expandierte es etwas. Zudem sind die Gaspreise von ihren bedrohlichen Spitzenwerten seit August deutlich gefallen, und das Risiko eines Gasnotstands im Winter ist etwas gesunken. Keine Entspannung zeichnet sind allerdings bei der Verbraucherpreisinflation im Euroraum ab. Die globalen Einkaufsmanagerindizes sind zuletzt weiter gefallen und liegen in etwa auf Stagnationsniveau. Zur Sorge um die chinesische Konjunktur gibt jüngst ein heftiger Pandemieausbruch in Guangzhou Anlass.

Der IWH-Flash-Indikator basiert auf einer Vielzahl an Einzelindikatoren, die realwirtschaftliche Indikatoren, Finanzmarktindikatoren, Umfragedaten, Preise und internationale Indikatoren umfassen. Abbildung 2 zeigt die Verteilung all dieser auf jeweils einem Indikator basierenden Prognosen für die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal 2022 und ersten Quartal 2023. Alles in allem signalisiert der IWH-Flash-Indikator Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal 2022 um jeweils 0,6% und im ersten Quartal 2023 um 0,3%. Damit wäre die deutsche Wirtschaft in einer Rezession.

[Die Zeitreihe mit den historischen Daten des Flash-Indikators sowie eine Beschreibung der Methodik finden Sie im Download-Bereich.]

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