Deutsche Lebensversicherer investieren nicht ausreichend in Start-ups

Die deutschen Lebensversicherer legen ihr Kapital bislang zu wenig in Aktien an und hemmen so die wirtschaftliche Dynamik. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) legt nahe, dass der Gründerszene Risikokapital fehlt, um erfolgreiche Start-ups zu finanzieren. Grund dafür ist das Anlageverhalten potenzieller Investoren. IWH-Präsident Reint Gropp fordert Reformen, die die Finanzierung innovativer Ideen fördern.

Autoren Reint E. Gropp

Deutschland – Land der Ideen: Mit dieser Kampagne wirbt die deutsche Bundesregierung seit langem für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland. Die Initiative soll Impulse setzen und Innovationen sichtbar machen. Doch innovative Unternehmensgründungen haben es in Deutschland schwer, unter anderem, weil es häufig an Startkapital zur Finanzierung der Geschäftsideen mangelt. Zum Vergleich: Die Summe des in Unternehmen investierten Risikokapitals ist in den USA 60-mal so hoch wie in Deutschland. Der Grund dafür liegt laut Analyse des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in einem unterentwickelten Aktienmarkt und fehlenden Anreizstrukturen für risikobereite Investoren, ihr Kapital in Aktien anzulegen. Dabei vertreten IWH-Präsident Reint Gropp und Koautor William McShane den Standpunkt, dass hierzulande vor allem institutionelle Anleger zu wenig in Aktien investieren. Das zeigen auch internationale Vergleiche.

„Der Regulierungsrahmen sollte widerspiegeln, dass Kapital zur Finanzierung von Innovationen eingesetzt werden kann.“

Zu den institutionellen Anlegern zählen hauptsächlich Pensions- und Investmentfonds, speziell in Deutschland aber allen voran die Lebensversicherer. Deren Anlageportfolio, das sich zu einem Großteil aus festverzinslichen Anlagen wie Staats- und Unternehmensanleihen, aber auch aus alternativen Anlagen zusammensetzt, weist einen nur geringen Aktienanteil von lediglich 4,6% aus. Damit investieren die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften nur etwa halb so viel wie der EU-Durchschnitt in Aktien. Gerade Lebensversicherer halten Vermögenswerte und Verbindlichkeiten mit Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten. Breit gestreut in Aktienmärkte zu investieren würde jedoch über derart lange Zeiträume nahezu immer bessere Renditen erzielen als Anleihen. Gerade in einem Niedrigzinsumfeld, in dem Versicherer trotz der Negativzinsen auf Staatsanleihen Garantiezinsen für ihre Kunden erwirtschaften müssen, kann ein Missverhältnis von Anleihen und Aktien zur Insolvenz von Versicherern führen.

Seit einigen Jahren zeichnet sich allerdings eine Trendwende hin zu einer Umschichtung des Vermögens in Aktien ab. Dafür sehen die Autoren drei mögliche Gründe. Erstens haben die Niedrigzinsen der vergangenen Jahre die Lebensversicherer tatsächlich dazu bewogen, weniger in Anleihen und mehr in Aktien zu investieren. Zweitens hat eine Marktkonsolidierung stattgefunden: Kleine Versicherungen können die mit den gestiegenen Anforderungen der Aufsichtsbehörden einhergehenden hohen Fixkosten nicht weiter tragen und stellen ihre Lebensversicherungssparte ein. Die Zahl der Lebensversicherer am deutschen Markt geht also zurück. Drittens, und das dürfte der Hauptgrund sein, wurde mit den reformierten europäischen Regularien in Form der Solvency-II-Richtlinie 2016 das regulatorische Korsett für die Versicherer derart gelockert, dass Kapital flexibler in Aktien angelegt werden kann, quantitative Beschränkungen beim Aktienkauf wegfielen und Anreize für ein diversifiziertes Aktienportfolio geschaffen wurden. Weitere Änderungen der Richtlinie im Jahr 2019 folgten, die die Lebensversicherungsgesellschaften zu einem vermehrten Investieren in Aktien motivieren sollen.

Auch wenn sich der Umfang der Aktienbestände inzwischen erhöht haben dürfte, seien die Anreize für Lebensversicherer, in Aktien zu investieren, nach wie vor zu gering, sagt Gropp. „Der Regulierungsrahmen sollte widerspiegeln, dass Kapital zur Finanzierung von Innovationen eingesetzt werden kann.“ Die Politik müsse den Rahmen schaffen, Wagniskapitalgeber zu animieren, innovative Ideen finanziell zu unterstützen, so die Forderung der Studienautoren. Unternehmenssubventionen oder andere Anreizsysteme hingegen seien dafür keine geeigneten Instrumentarien.

Veröffentlichung:
Reint E. Gropp, William McShane: Why Life Insurers are Key to Economic Dynamism in Germany. IWH Online 6/2020. Halle (Saale) 2020.

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Zugehörige Publikationen

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Why Life Insurers are Key to Economic Dynamism in Germany

Reint E. Gropp William McShane

in: IWH Online, 6, 2020

Abstract

Young entrepreneurial firms are of critical importance for innovation. But to bring their new ideas to the market, these startups depend on investors who understand and are willing to accept the risk associated with a new firm. Perhaps the key reason as to why the US has succeeded in producing nearly all the most successful new firms of the 21st century is the economy’s ability to supply vast sums of capital to promising startups. The volume of venture capital (VC) invested in the US is more than 60 times that of Germany. In this policy note, we argue that differences in the regulatory and structural context of institutional investors, in particular life insurance companies, is a central driver of the relative lack of VC - and thereby successful startups - in Germany.

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