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Forschen für den Arbeitsmarkt von morgen

Die wirtschaftliche Transformation verändert die Arbeitswelt spürbar. Am IWH wird die Abteilung Strukturwandel und Produktivität diese Umbrüche künftig noch intensiver untersuchen und sich damit selbst verändern. Eine hochkarätige Konferenz nach besonderen Spielregeln gab dafür einen kräftigen Schub.

01. Juli 2025

Autoren Rafael Barth

Princeton, Berkeley und Cambridge: Einige der klangvollsten Orte der Wissenschaftswelt stehen auf dem Programm. Sie bezeichnen die akademischen Herkünfte jener Arbeitsökonominnen und -ökonomen, die sich für eine Premiere auf den Weg nach Halle gemacht haben. Für eine neue Konferenz hatten IWH-Forscher Steffen Müller, Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produktivität, und Simon Wiederhold, Senior Research Advisor in der Abteilung, ein besonderes Format gewählt. Anders als üblich gab es vorab keine Werbung, Forschende konnten sich nicht um eine Teilnahme bewerben. Dabeisein war nur auf Einladung möglich. Das Ziel: Ein kleiner Kreis von ausgewählten internationalen Top-Forschenden sollte in einem geschützten Raum neue, wegweisende Erkenntnisse diskutieren. Nach einem Jahr Vorbereitungszeit war es am 13. und 14. Juni 2025 endlich so weit: Erstmals fand der IWH Senior Workshop on Future Labour Markets, kurz FLAME, statt.

Zwei Tage, zwei Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, angereist aus den USA und Kanada, aus Schweden und Norwegen. Viele zählen zur Weltspitze der Arbeitsmarktforschung. So wie Thomas Lemieux, einer der renommiertesten Arbeitsökonomen weltweit und Mit-Herausgeber des Handbook of Labor Economics, der den Workshop gemeinsam mit Steffen Müller und Simon Wiederhold organisiert hatte und zur Rolle von Gewerkschaften für die Lohnverteilung referierte. So wie Simon Jäger, der als Professor in Princeton lehrt und seine Expertise als Berater sichtbar auch in die deutsche Bundespolitik einbringt. So wie Benjamin Schoefer von der University of California in Berkeley, der als Research Fellow seit Jahren mit dem IWH zusammenarbeitet. Ein solches Tagungsformat stärkt nicht nur das internationale Profil des Instituts. Es bietet auch eine Plattform, um neue gemeinsame Forschungsprojekte anzustoßen.

Die FLAME bot den Rahmen für einen angeregten Austausch, wobei die Spätfrühlingssonne so angenehm schien, dass die Präsentation der meisten Forschungsposter kurzerhand in den Innenhof des Instituts verlegt wurde. Im Konferenzsaal herrschte hingegen über Stunden hinweg eine gespannte Aufmerksamkeit. Die Vorträge regten Diskussionen an, die manchmal noch lange hätten weitergehen können, so vielfältig und fordernd sind die Fragen, die die empirische Forschung aufwirft. Wer zahlt dafür, wenn Beschäftigte aufgrund des Mindestlohns mehr verdienen? Inwiefern beeinflussen Unterschiede in den Gehaltsverhandlungen zwischen Männern und Frauen die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern? Wie prägen Unternehmen und Märkte, was, wann und wie Arbeitskräfte sich weiterbilden? Was bedeutet es für das öffentliche Gesundheitswesen, wenn Bürger vermehrt private Leistungen nutzen?

Schnell wurde klar: Worüber die Wirtschaftswissenschaft heute diskutiert, kann morgen in politische Entscheidungen einfließen. Mit dieser Mischung aus unabhängiger, hochwertiger Forschung und Politikberatung wird das IWH seit Jahren mehr und mehr zum Anziehungspunkt für internationale Top-Forschende. Die FLAME ist dafür ein gutes Beispiel. Als hochkarätige Konferenz soll sie von nun an regelmäßig in Halle stattfinden und den Anspruch des Gastgebers unterstreichen: In der Erforschung des Strukturwandels am Arbeitsmarkt soll das IWH mit seinem Netzwerk aus Hochschulen in Mitteldeutschland und Berlin zu einer europaweit führenden Einrichtung werden.

Themen gibt es dafür mehr als genug, schon weil beispielsweise das Ringen um den Mindestlohn in Deutschland unter jeder neuen Bundesregierung unvermindert weitergeht. Weil das Ende des Kohleabbaus das Jobangebot ganzer Landstriche verändert. Oder weil der wachsende Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz Fachkräfte zur Weiterbildung zwingt und zugleich neue Karrierewege eröffnet. Lohnbildung und Beschäftigung, Gewerkschaften und Institutionen, grüne Transformation und Automatisierung: Überall verändert sich der Arbeitsmarkt spürbar. Damit verbunden sind Chancen, Risiken und Fragen, die eine Gesellschaft beantworten muss. Die IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität wird sich dieser Fragen verstärkt annehmen und die Forschung an Arbeitsmarktthemen intensivieren.

Das Institut geht damit einen logischen Schritt in seiner Entwicklung, die jüngst mit einem anderen Erfolg verbunden war. Mit Beginn des Jahres 2025 wurde das IWH-Zentrum für Firmen- und Produktivitätsdynamik aus der Abteilung Strukturwandel und Produktivität ausgegliedert und substanziell erweitert. Als eigenständige Querschnittseinheit, die mit allen Forschungsabteilungen des Instituts zusammenarbeitet, ergründet das Zentrum anhand von Mikrodaten auf Firmenebene die Produktivitätsdynamik in Europas Volkswirtschaften. Die Abteilung Strukturwandel und Produktivität besetzt die freigewordenen Positionen mit Arbeitsmarktökonomen neu und gewinnt somit mehr Raum, um die Transformation des Arbeitsmarkts europaweit sichtbar zu erforschen. 

Weitere Impressionen und das Programm der FLAME-Konferenz auf der IWH-Website

Außerdem in diesem Heft

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Bürokratieabbau: Brauchen wir einen Elon Musk in Deutschland?

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2025

Abstract

<p>Bürokratie und eine Verkleinerung des Staates sind schon seit Jahren in aller Munde. Bürokratieabbau war in den Wahlprogrammen aller deutschen Parteien zur letzten Bundestagswahl zu finden. Wenn Unternehmen gefragt werden, was sie davon abhält zu investieren, rangieren überbordende Bürokratie und Berichtspflichten zusammen mit Arbeitskräftemangel und hohen Energiekosten an erster Stelle.</p>

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Aktuelle Trends: Immobilienpreise geben nach

Michael Koetter Felix Noth Fabian Wöbbeking

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2025

Abstract

<p>In turbulenten Zeiten, die von anhaltenden geopolitischen Krisen, dem holprigen Regierungswechsel in Deutschland und volatilen Aktienmärkten geprägt sind, mögen die eine oder der andere Investor auf Betongold setzen. Ob dies eine gute Idee ist, zeigt ein Blick auf die Dynamik im europäischen Häusermarkt.</p>

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Die Verteilung und Struktur des deutschen Nationaleinkommens von 1992 bis 2019

Stefan Bach Charlotte Bartels Theresa Neef

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2025

Abstract

<p>Wie haben sich die Einkommen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Deutschland seit der Wiedervereinigung entwickelt? Unsere Studie untersucht die Entwicklung und Zusammensetzung des Nationaleinkommens entlang der Verteilung im Zeitraum von 1992 bis 2019. Während die untere Hälfte der Einkommensverteilung (unterhalb des Medianeinkommens) bis Mitte der 2000er Jahre reale Einkommensverluste verzeichnete, stiegen die Einkommen der oberen Mittelschicht (die obersten 10%, ohne das einkommensstärkste 1%) stetig. Die Spitzeneinkommen (oberstes 1%) blieben zwischen 1992 und 2019 relativ stabil. Arbeitseinkommen dominieren bei den unteren 99%, während das oberste 1% von Unternehmenseinkommen – insbesondere aus arbeitsintensiven Dienstleistungsunternehmen und freien Berufen – bestimmt ist. Unsere Ergebnisse sind zentral für die Debatte über Reformen der Sozialversicherungsbeiträge und der Einkommensbesteuerung.</p>

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Die deutsche Investitionsschwäche: Warum gibt es sie, warum ist sie wichtig und was sollte die neue Bundesregierung dagegen tun

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2025

Abstract

<p>Deutschland befindet sich schon im zweiten Jahr in einer Rezession, und Wachstum ist laut den Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute auch 2025 kaum zu erwarten. Viel schlimmer ist allerdings, dass neue Prognosen des langfristigen Wachstums im Gleichgewicht (das so genannte Produktionspotenzial) dramatisch niedrigere Wachstumsraten für die nächsten 20 Jahre vorhersagen, wenn sich die Wirtschaftspolitik nicht deutlich ändert. Eine wesentliche Ursache für die Wachstumsschwäche ist die Investitionsschwäche. Um diese anzugehen, reicht das beschlossene Sondervermögen für Infrastruktur nicht aus. Die neue Bundesregierung muss die Bürokratie abbauen und Planungsverfahren verkürzen, eine rationale Klima- und Energiepolitik verfolgen, das Rentensystem mutig in Richtung Kapitaldeckungsverfahren umbauen und eine Einkommensteuerreform auf den Weg bringen, die mittlere Einkommen entlastet.</p>

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Kalifornische Inspirationen

Simon Wiederhold

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2025

Abstract

<p>Wissenschaft lebt vom Austausch kluger Köpfe über Grenzen hinweg. IWH-Ökonom Simon Wiederhold hat vier Wochen an der Stanford University geforscht. Einblicke in eine höchst anregende Erfahrung.</p>

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