Chinesische Massenimporte stärken extreme Parteien

Die Globalisierung hat den politischen Rändern in Europa Stimmenzuwächse beschert. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) belegt erstmals Langzeitfolgen gestiegener chinesischer Importe in europäische Länder: Vor allem rechtsextreme und populistische Parteien konnten in nationalen Wahlen vom so genannten China-Schock profitieren.

Autoren Steffen Müller

Die stark erhöhte Einfuhr chinesischer Waren in den Jahren von 2000 bis 2007 hat in Europa den wirtschaftlichen Wettbewerb verschärft und sich auf unterschiedliche Arten in Wahlergebnissen niedergeschlagen. Kurzfristig profitierten linksextreme Parteien, zu denen Politikwissenschaftler beispielsweise Die Linke in Deutschland oder Syriza in Griechenland zählen. Offenbar spielte der Wunsch nach sozialer Absicherung in der kurzen Frist eine wichtige Rolle. Langfristig jedoch konnten populistische und rechtsextreme Parteien dort Stimmenzuwächse verzeichnen, wo die Importzuwächse am stärksten waren. Wähler verloren anscheinend das Vertrauen in den Sozialstaat und suchten Schutz im Protektionismus. Diese Langfristeffekte chinesischer Importe in europäische Regionen belegt erstmals eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Die Untersuchung zeigt auch: In Regionen, die von dem Importschock stark getroffen wurden, erhielten rechte Parteien schon vorher hohe Stimmenanteile.

Die Politik sollte wirtschaftliche Härten abfedern, ohne dabei den Strukturwandel auszubremsen.

„Der internationale Wettbewerb hat vielen Menschen mehr Wohlstand gebracht und zugleich die politischen Ränder in Europa gestärkt“, sagt Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität, der die Studie zusammen mit Annika Backes verfasst hat. „Aber die Globalisierung ist nicht der Hauptgrund für den allgemeinen Rechtsruck.“ Denn die Auswirkungen des Importschocks sind moderat. Im Durchschnitt brachten die verstärkten chinesischen Einfuhren den rechtsextremen Parteien in Europa ein Stimmenplus von einem Prozentpunkt (das entspricht einem Zuwachs von 16% bei den abgegebenen Stimmen). Populisten gewannen bis zu 1,5 Prozentpunkte (entspricht 12%).

Politikwissenschaftler und Soziologen machen vor allem nichtökonomische Ursachen für den Aufschwung rechter Parteien aus, zum Beispiel Vorbehalte gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen, die als zu progressiv wahrgenommen werden. Diese anderen Faktoren waren nicht Gegenstand der Studie. Es sei demnach fraglich, inwiefern staatliche Hilfen für die vom ökonomischen Strukturwandel betroffenen Regionen langfristig dazu beitrügen, populistische und rechtsextreme Parteien in Schach zu halten, sagt Ökonom Müller: „Die Politik sollte wirtschaftliche Härten abfedern, ohne dabei den Strukturwandel auszubremsen. Denn die fortlaufende Erneuerung der Wirtschaft sichert langfristigen Wohlstand.“

Für die Studie haben Müller und Backes Wahlergebnisse aus
15 europäischen Ländern in den Jahren 1997 bis 2019 ausgewertet. Sie untersuchten, wie sich im Lauf der Zeit die Ergebnisse der nationalen Parlamentswahlen auf regionaler Ebene entwickelten. Sie schätzten die kausalen Auswirkungen chinesischer Importe auf das Wahlverhalten und schlossen dabei Störfaktoren aus. Zum Beispiel betrachteten sie ausschließlich Veränderungen zwischen den Regionen innerhalb eines Landes und innerhalb eines Wahljahres, um andere landes- und zeitspezifische Faktoren auszuschließen, die die Ergebnisse hätten verzerren können, zum Beispiel charismatische Führungspersonen bestimmter Parteien oder Veränderungen im Zustrom von Migranten.

Der internationale Wettbewerb hat vielen Menschen mehr Wohlstand gebracht und zugleich die politischen Ränder in Europa gestärkt

Die Studie ist Teil eines größeren Forschungsvorhabens am IWH. Es läuft seit dem Jahr 2020 unter dem Titel „Europas populistische Parteien im Aufwind: die dunkle Seite von Globalisierung und technologischem Wandel?“. Dabei leitet das IWH ein internationales und interdisziplinäres Projektteam, das untersucht, inwiefern ökonomische Faktoren die Zustimmung zu populistischer Politik beeinflussen. Zum Projektteam gehören Forschende der Wirtschafts- und Politikwissenschaften der Universitäten von Nottingham (England) und Glasgow (Schottland) sowie des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag. Die VolkswagenStiftung fördert das Vorhaben mit knapp einer Million Euro. Zum Abschluss des Projekts werden die wichtigsten Ergebnisse bei einer öffentlichen Veranstaltung am 3. Juni 2024 in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle (Saale) vorgestellt und diskutiert.

Veröffentlichungen:
Annika Backes, Steffen Müller: Import Shocks and Voting Behavior in Europe Revisited, in: European Journal of Political Economy (im Erscheinen).
Annika Backes, Steffen Müller: Import Shocks and Voting Behavior in Europe Revisited. IWH Diskussionspapiere 8/2024.

Terminhinweis:
Montag, 3. Juni 2024, 18:00 Uhr, Leopoldina, Halle (Saale):
Europa-Debatte: Europas Populisten im Aufwind: Ökonomische Ursachen und demokratische Herausforde-rungen, Publikumsveranstaltung zu neuen Forschungsergebnissen mit Prof. Dr. Steffen Müller und weiteren Gästen. Eintritt frei. Details zu Programm und Anmeldung folgen demnächst auf der IWH-Veranstaltungsseite.

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Zugehörige Publikationen

cover_DP_2024-08.jpg

Import Shocks and Voting Behavior in Europe Revisited

Annika Backes Steffen Müller

in: IWH Discussion Papers, 8, 2024

Abstract

We provide first evidence for the long-run causal impact that Chinese imports to European regions had on voting outcomes and revisit earlier estimates of the short-run impact for a methodological reason. The fringes of the political spectrum gained ground many years after the China shock plateaued and, unlike an earlier study by Colantone and Stanig (2018b), we do not find any robust evidence for a short-run effect on far-right votes. Instead, far-left and populist parties gained in the short run. We identify persistent long-run effects of import shocks on voting. These effects are biased towards populism and, to a lesser extent, to the far-right.

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