Ostdeutsche Wirtschaft bisher gut durch Energiekrise gekommen – Implikationen der Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023 und amtlicher Länderdaten für die ostdeutsche Wirtschaft

Im Jahr 2022 hat die ostdeutsche Wirtschaft mit 3,0% deutlich stärker expandiert als die Wirtschaft in Westdeutschland (1,5%). Hintergrund ist eine robustere Entwicklung der Arbeitnehmer- und Rentnereinkommen. Auch für das Jahr 2023 prognostiziert das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) deshalb mit 1% eine höhere Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts in Ostdeutschland als in Deutschland insgesamt (0,3%). Die Arbeitslosenquote dürfte mit 6,8% im Jahr 2023 und 6,7% im Jahr darauf in etwa stagnieren.

Autoren Oliver Holtemöller

Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose konstatiert in ihrem Frühjahrsgutachten, dass der konjunkturelle Rückschlag für die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr 2022/2023 glimpflicher ausgefallen sein dürfte als im Herbst befürchtet. Denn die angebotsseitigen Störungen, insbesondere die Gefahr eines akuten Lieferengpasses bei Erdgas, haben nachgelassen. Insgesamt ist die ostdeutsche Wirtschaft recht gut durch die Energiekrise des vergangenen Jahres gekommen: Laut Angaben des Arbeitskreises „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ hat die Wirtschaftsleistung um 3,0% und damit um 1,5 Prozentpunkte stärker expandiert als in Westdeutschland (1,5%). Um 1,5% legte dabei die Wertschöpfung im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe zu. Der sehr hohe Zuwachs von 13,4% in Brandenburg geht wohl zu einem Gutteil auf die Aufnahme der Autoproduktion im Tesla-Werk Grünheide zurück. In Ostdeutschland ohne Brandenburg hat das Verarbeitende Gewerbe, so wie in Deutschland insgesamt, lediglich stagniert. Die Bauproduktion ging im Osten mit 3,5% noch etwas stärker als im Rest des Landes zurück. Dagegen hat die Wertschöpfung im gewichtigen Dienstleistungsbereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation (Wirtschaftsbereiche G bis J) mit 4,4% in den ostdeutschen Flächenländern und 9,2% in Berlin deutlich stärker zugelegt als in Westdeutschland (3,5%). „Hintergrund dürfte neben Nachholeffekten nach Ende der Pandemie eine robuste Entwicklung der privaten verfügbaren Einkommen sein“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Seit der Mindestlohn im Oktober 2022 auf 12 Euro je Stunde angehoben wurde, ist er um ein Viertel höher als im Jahr 2021, was in Ostdeutschland wegen des höheren Anteils der Mindestlohnempfänger von größerer Bedeutung ist als in Westdeutschland. Auch deshalb sind die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten mit 6,4% deutlicher gestiegen als in Deutschland insgesamt (4,7%).

Die realen (um den Konsumdeflator preisbereinigten) Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten waren in Ostdeutschland im Jahr 2022 um 12½% höher als im Jahr 2015, in Deutschland insgesamt nur um gut 4%. Trotz der höheren Lohnkosten und trotz einer ungünstigeren demographischen Entwicklung expandiert die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Osten ebenso wie im Westen deutlich.

„Auch im Jahr 2023 dürften die Einkommen in Ostdeutschland kräftiger expandieren als im Westen“, sagt Holtemöller. „Denn im Sommer wird die gesetzliche Rente um 5,9% und damit um 1,5 Prozentpunkte stärker zunehmen als im Westen.“ Die Angleichung des Rentenwertes ist damit erreicht, und künftig wird die Rentenanpassung im ganzen Land einheitlich erfolgen. Für die erste Jahreshälfte 2023 rechnet die Gemeinschaftsdiagnose mit einem verhaltenen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Deutschland, im weiteren Prognosezeitraum dürfte der Zuwachs aufgrund der nachlassenden Lieferengpässe und Belastungen durch die Energiepreise voraussichtlich etwas höher ausfallen. Dies dürfte auch für Ostdeutschland gelten. Wegen der kräftigeren Entwicklung der privaten Einkommen (auf freilich immer noch niedrigerem Niveau) dürfte die ostdeutsche Produktion mit 1,0% im Jahr 2023 etwas stärker expandieren als in Deutschland insgesamt (0,3%), vgl. Abbildung. Für das Jahr 2024 werden sich die Expansionsraten wohl angleichen (1,5%). Die ostdeutsche Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit bleibt nach 6,7% im Jahr 2022 mit 6,8% im Jahr 2023 und 6,7% im Jahr 2024 in etwa konstant.

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023:
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken. München, April 2023.

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Zugehörige Publikationen

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Gemeinschaftsdiagnose: Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose

in: Dienstleistungsauftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, 1, 2023

Abstract

Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet. Die angebotsseitigen Störungen, die die deutsche Wirtschaft seit geraumer Zeit belasten, haben nachgelassen. Ein merklicher Rückgang der Inflationsraten wird jedoch noch etwas auf sich warten lassen, da der Nachfragesog vorerst kaum geringer werden dürfte. Dazu tragen neben den staatlichen Entlastungsmaßnahmen auch die absehbar hohen Lohnsteigerungen bei. Die Inflationsrate wird im Jahr 2023 mit 6,0% nur wenig niedriger liegen als im Vorjahr. Erst im kommenden Jahr dürfte die Rate, insbesondere aufgrund der rückläufigen Energiepreise, spürbar sinken. Der Rückgang der Kerninflationsrate (also der Anstieg der Verbraucherpreise ohne Energie) fällt zunächst deutlich schwächer aus. Sie dürfte von 6,2% im laufenden Jahr nur langsam auf 3,3% im kommenden Jahr zurückgehen. <br /><br />Das Verarbeitende Gewerbe wird in den kommenden Quartalen zur Konjunkturstütze werden, da es unmittelbar vom Abflauen der Lieferengpässe und der wieder etwas günstigeren Energie profitiert. Da die Reallöhne wieder anziehen, wird auch der private Konsum im weiteren Verlauf zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen. Die Bauwirtschaft wird die Konjunktur hingegen bremsen, da die Nachfrage auch als Folge der gestiegenen Finanzierungskosten schwach bleiben wird. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um 0,3% und im kommenden Jahr um 1,5% zulegen. Damit heben die Institute ihre Prognose vom Herbst 2022 für das laufende Jahr spürbar um 0,7 Prozentpunkte an, während die Prognose für das kommende Jahr um 0,4 Prozentpunkte gesenkt wird. Die Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren die angebotspolitischen Zügel weitgehend schleifen lassen, auch in Zeiten, in denen kein akutes Krisenmanagement anstand. Umso größer ist nun der Reformbedarf, um insbesondere die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Energiewende zu bewältigen. Beide erfordern potenzialstärkende Maßnahmen, auch um die sich verschärfenden Verteilungskonflikte einzuhegen.&nbsp;

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