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Ausstieg aus der Kohle: Herausforderungen bei der Mittelvergabe und -verteilung

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 ist ein wichtiger Teil der Strategie der Bundesregierung, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Begleitet wird der Kohleausstieg seit 2020 von regionalen Subventionen (Investitionsgesetz Kohleregionen – InvKG und Bundesprogramm STARK), um die wirtschaftlichen und sozialen Anpassungsprozesse zu begleiten und die negativen Auswirkungen abzufedern. Dafür stehen bis 2038 insgesamt rund 41 Mrd. Euro bereit. Es wird dabei eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen eingesetzt, u. a. die Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur und der Verkehrsanbindungen, die Stärkung der regionalen Bildungsangebote sowie Forschungseinrichtungen. Das IWH hat zusammen mit dem RWI in Essen einen ersten Evaluationsbericht für die Periode von August 2020 bis Ende 2022 vorgelegt.

06. März 2024

Autoren Reint E. Gropp

Aus ökonomischer Sicht kann die besondere Förderung der Ausstiegsgebiete dadurch gerechtfertigt werden, dass die Entscheidung zum Ausstieg aus der Braunkohle eine einseitige staatliche Intervention darstellt. Dieser Eingriff des Staates, der zu einer substanziellen wirtschaftlichen Schlechterstellung der betroffenen Gebiete führen könnte, wird dann kompensiert durch eine regionale fokussierte Förderung. Aus ökonomischer Sicht wäre es besser gewesen, die unterschiedlichen Energieträger und Verursacher von Treibhausgasen nicht separat, sondern als Teil einer Gesamtstrategie zu behandeln und dabei anreizkompatibler über einen Anstieg der CO2-Preise zu operieren. Es bleibt trotzdem relevant zu untersuchen, inwieweit der Ansatz der Förderung zu einer effizienten Allokation der Subventionen führt und inwieweit die Förderung ihre Ziele erreicht. Dabei ist es zunächst interessant, die Größe des Gesamtpakets in einen Zusammenhang zu setzen. Zurzeit sind in den betroffenen Kohlerevieren rund 20 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Das bedeutet, dass ungefähr zwei Millionen Euro pro Kohle-Beschäftigten vorgesehen sind, ohne die indirekt in den Regionen betroffenen Personen beim Kohleausstieg zu berücksichtigen. Die Größenordnung der Subventionen ist schwer einzuschätzen, auch vor dem Hintergrund, dass die durchschnittlichen Gehälter der in der Braunkohle Beschäftigten rund doppelt so hoch waren wie die Durchschnittsgehälter in Deutschland. Das heißt, dass Menschen in den Braunkohlerevieren disproportional davon profitiert haben, dass die Externalitäten des Abbaus und der Verstromung der Braunkohle nicht internalisiert wurden.

In der Evaluierung ist zunächst zu begrüßen, dass keine direkten Subventionen an einzelne Unternehmen gezahlt werden dürfen, was den gesellschaftlichen Wert der Subventionen tendenziell erhöht. Die Implementierung des Programms steht aufgrund der administrativen Prozesse noch ganz am Anfang. Bis Ende 2022 wurden weniger als 2% des vorgesehenen Gesamtvolumens tatsächlich ausbezahlt. Die erste Förderperiode für einen Teil der Mittel (rund 5,5 Mrd. Euro) endet allerdings bereits 2026. Das birgt mehrere Risiken. Erstens könnten weniger förderungswürdige Projekte finanziert werden, um das Fördervolumen bis zum Auslaufen des Förderzeitraums auszuschöpfen. Zweitens könnten genau dort Gelder schneller fließen, wo es effizientere öffentliche Verwaltungen gibt. Ein interessanter Fall ist hier die Stadt Leipzig. Zunächst einmal ist Leipzig zwar Teil des Fördergebietes, obwohl es nicht unbedingt ersichtlich ist, inwiefern die Stadt negativ vom Kohleausstieg betroffen ist. Nach allgemeinen Maßstäben boomt Leipzig und saugt dabei Arbeitskräfte und gut ausgebildete jüngere Menschen aus den umliegenden länd- licheren Regionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg ab. Gleichzeitig ist Leipzig bekannt für eine besonders effiziente Verwaltung. Es besteht die Gefahr, dass Projekte in Leipzig schneller gefördert werden, was wiederum die Attraktivität der Stadt und damit ihre Anziehungskraft erhöht. Es ist also möglich, dass die Förderung die Probleme in den wirklich betroffenen Gebieten noch verstärkt. Aus diesen beiden Gründen empfiehlt der Bericht, die Förderperioden flexibel zu handhaben. Zudem ist eines der Ziele des Programms, nämlich der Erhalt von Arbeitsplätzen, aufgrund des sich immer weiter zuspitzenden Fachkräftemangels aus der Zeit gefallen. Ein Fokus sollte vielmehr auf die Stärkung des Arbeitskräftepotenzials gelegt werden, insbesondere durch Bildungs- und Umschulungsprojekte. Da bislang nur ein geringer Anteil der Gesamtfördersumme geflossen ist, ist es unmöglich, das Programm zu diesem Zeitpunkt abschließend zu bewerten. Es muss allerdings auch zugestanden werden, dass es schwierig sein wird, selbst am Ende des Prozesses im Jahre 2038, kausale Wirkungen des Programms überzeugend zu zeigen. Der Grund liegt darin, dass in den Kohleregionen die Effekte der Förderung und des Ausstiegs selbst gleichzeitig stattfinden und daher schwer zu trennen sind. Es steht also zu befürchten, dass der Wirkungsgrad des Programms niemals abschließend und überzeugend darzustellen sein wird. Umso wichtiger ist es daher, die Effizienz bei der Vergabe der Mittel und deren Allokation transparent zu machen und immer wieder auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.  

Außerdem in diesem Heft

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Aktuelle Trends: Die Liquidität europäischer Immobilienmärkte in der Polykrise

Michael Koetter Felix Noth Fabian Wöbbeking

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2024

Abstract

Der Ausbruch der Covid-Pandemie in Europa zu Beginn des Jahres 2020 markierte den Beginn einer Polykrise in Europa. Umgangsbeschränkungen lähmten die Wirtschaft, die Invasion der Ukraine durch Russland trieb die Energiepreise, internationale Lieferketten strauchelten und die hohe Inflation belastete die Haushalte nachhaltig. 

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Der Börsengang und die interne Organisation des Unternehmens

Daniel Bias Benjamin Lochner Stefan Obernberger Merih Sevilir

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2024

Abstract

In diesem Beitrag wird untersucht, wie Unternehmen ihre Organisation anpassen, wenn sie erstmalig an die Börse gehen (<i>initial public offering, IPO</i>). Im Zuge des Börsengangs wandeln sich Unternehmen in eine hierarchischere Organisation um und verstärken die Aufsicht durch das Management. Organisatorische Funktionen in den Bereichen Rechnungswesen, Finanzen, Informationstechnologie und Personalwesen gewinnen an Bedeutung. Sie tauschen einen großen Teil ihrer Belegschaft und fast ihr gesamtes Management aus, um ihr Humankapital an die neue Organisation anzupassen. Die neue Organisation erleichtert interne Versetzungen und Beförderungen. Insgesamt ist das Unternehmen durch den Börsengang einem Wandel unterworfen, der die Abhängigkeit des Unternehmens von einzelnen Beschäftigten verringert und den Produktionsprozess effizient organisiert.

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Klimastresstests, Kreditvergabeverhalten der Banken und der Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft

Larissa Fuchs Huyen Nguyen Trang Nguyen Klaus Schaeck

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2024

Abstract

Kann die Bankenaufsicht den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft unterstützen, indem sie die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen beeinflusst? Dieser Beitrag untersucht die Kreditvergabe der Banken vor und nach dem weltweit ersten Klimastresstest in Frankreich und die Reaktion der kreditnehmenden Unternehmen. Die dem Stresstest unterworfenen Banken geben kohlenstoffintensiven Unternehmen mehr Kredite. Zugleich verlangen sie ihnen aber höhere Zinssätze ab. Die kohlenstoffintensiven Kreditnehmer, deren Banken sich dem Klimastresstest unterzogen haben, verpflichten sich eher zu ehrgeizigen Emissionszielen und integrieren eher Umweltaspekte in die Bewertung von Investitionsprojekten. Jedoch reduzieren sie weder direkt ihre Kohlenstoffemissionen noch beenden sie Beziehungen zu klimaschädlichen Lieferanten. Die Studie belegt somit einen kausalen Zusammenhang zwischen Klimastresstests der Banken und der Verringerung des Transitionsrisikos der Kreditnehmer.

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