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Der insgesamt robuste Arbeitsmarkt wirkt konjunkturstabilisierend, insbesondere mit Blick auf den privaten Konsum. Nicht nur steigen die Löhne nunmehr wieder stärker als die Verbraucherpreise, sondern auch die Beschäftigung zeigt sich trotz der schwachen Konjunktur insgesamt weiterhin fest, wobei wegfallende Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe zuletzt durch einen Beschäftigungsaufbau in den Dienstleistungsbereichen überkompensiert wurden. Gesamtwirtschaftlich ist bedeutsam, dass die realen Lohnstückkosten zwar im Zuge der Lohnanpassungen wieder deutlich zunehmen, über den gesamten Prognosezeitraum hinweg aber beschäftigungsfreundlich bleiben. Im laufenden Jahr dürfte die Zahl der Erwerbspersonen sogar noch etwas steigen, bevor dann im kommenden Jahr allmählich der demografisch bedingte Rückgang einsetzt. Die Arbeitslosigkeit dürfte nur noch geringfügig steigen und bereits ab dem Frühjahr wieder sinken

Die Effektivverdienste werden in den Jahren 2024 und 2025 voraussichtlich um 4,6% bzw. 3,4% zulegen. Damit nehmen die Reallöhne über den gesamten Prognosezeitraum zu und holen die Verluste aus dem Jahr 2022 und dem ersten Halbjahr 2023 langsam wieder auf. Das Niveau von Ende 2021 – also vor dem drastischen Inflationsschub – wird aber voraussichtlich erst im zweiten Quartal 2025 erreicht. Ausgesprochen schwach bleibt die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, die nach dem deutlichen Rückgang im vergangenen Jahr im laufenden Jahr nochmals nachgeben dürfte. Ein Grund hierfür könnten qualifikatorische Mismatch-Probleme am Arbeitsmarkt sein. Diese würden zugleich erklären, weshalb die Unternehmen trotz schwacher Auftragslage weiterhin in hohem Maße über mangelnde Arbeitskräfte als Produktionshemmnis klagen.

Bei der Einschätzung der Expansionsspielräume orientieren sich die Institute am gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial. Hierbei besteht eine erhebliche Schätzunsicherheit. Insbesondere kann das zugrundeliegende Verfahren strukturelle Brüche hinsichtlich der Marktfähigkeit bestehender Produktionsstrukturen nur verzögert erkennen – und zwar dadurch, dass die realisierte Wirtschaftsleistung über einen längeren Zeitraum hinter dem zurückbleibt, was ohne größere Strukturprobleme zu erwarten wäre. Beschleunigt sich der Strukturwandel, so geht dies typischerweise mit einem zwischenzeitlich geringeren Produktionspotenzial einher, weil sich neue Produktionsstrukturen langsamer aufbauen lassen, als bisherige obsolet werden. Nur in der längeren Frist können diese Diskrepanzen nach und nach durch eine Reallokation der Produktionsfaktoren behoben werden. Sind Produktivitätsprobleme regulatorisch bedingt – etwa, weil bürokratische Lasten Arbeitskräfte binden oder mangelnde Technologieoffenheit Innovationen verhindert –, so vollzieht sich die entsprechende Politikkorrektur zumeist auch nur in der längeren Frist, weil sich für ein Umsteuern zunächst ein größerer Problemdruck aufbauen muss.

Seit dem Jahr 2019 haben die Institute ihre Einschätzung über die Entwicklung des Produktionspotenzials – also die bei Normalauslastung mögliche Wirtschaftsleistung – mehrfach erheblich zurückgenommen. So liegt nunmehr der für das laufende Jahr geschätzte Wert um 2,2% unter dem Niveau, das vor fünf Jahren für dieses Jahr erwartet wurde. Mit dem insgesamt niedrigeren Potenzialpfad fallen auch die Expansionsspielräume kleiner aus. Die Unsicherheit über das Potenzialniveau geht somit unmittelbar mit Risiken über den weiteren Konjunkturverlauf einher, wobei derzeit mehr Gründe für ein Über- als ein Unterschätzen der Produktionsmöglichkeiten in der mittleren Frist sprechen.

So geht mit der Dekarbonisierungspolitik ein erheblicher Transformationsprozess einher, im Zuge dessen nicht nur die Energieversorgung, sondern darüber hinaus weite Teile der Produktionsstrukturen umgestellt werden müssen. Dies dämpft gegenüber dem vom Potenzialschätzverfahren ausgewiesenen Niveau die Produktionsmöglichkeiten, wobei das Ausmaß der Effekte hochgradig unsicher ist. Zudem hängen die Effekte stark davon ab, ob die internationale Politikkoordinierung zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen gelingt. Diesbezüglich steht ein verlässlicher internationaler Regulierungsrahmen weiterhin aus. Damit steigt das Risiko, sich hierzulande mit emissionsdämpfenden Investitionen zu binden, während der Anreiz für Regulierungsarbitrage zunimmt und Produktion ins Ausland verlagert wird. Dem könnten Innovationen gegenüberstehen, die neue Wachstumschancen bieten.

Auch mit Blick auf strukturelle Veränderungen im Zuge der demografischen Entwicklung bestehen bedeutsame Risiken. Zwar erfasst das Potenzialschätzverfahren die absehbare Entwicklung des Arbeitsvolumens, nicht aber von dessen Zusammensetzung. In dem Maße, wie diese sich schneller verändert als im Stützzeitraum, bleiben entsprechende Produktivitätseffekte außen vor, zumal dann, wenn die Effekte nichtlinear sind. So dürfte eine insgesamt ältere Erwerbsbevölkerung technischen Fortschritt weniger durchgreifend adaptieren als eine jüngere. Auch wandern bislang anteilig weniger Höherqualifizierte zu, als aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Im Ergebnis dürfte sich die Mismatch-Problematik am Arbeitsmarkt weiter verschärfen. In dem Maße, wie seitens der Politik die Folgen des demografischen Wandels im gesetzlichen Alterssicherungssystem stärker zu Lasten der aktiven Erwerbstätigen abgefangen werden sollen, dürfte zudem der Anreiz für qualifizierte Zuwanderung für sich genommen weiter sinken.

Ferner erfordert die über Jahrzehnte vernachlässige öffentliche Infrastruktur – insbesondere mit Blick auf das Straßen- und Schienennetz – in den kommenden Jahren vermehrte Instandhaltungsinvestitionen. Während der nun nachzuholenden Sanierungsmaßnahmen sinken aber die Transportkapazitäten der entsprechenden Verkehrsnetze trotz des rechnerisch ausgewiesenen höheren gesamtwirtschaftlichen Kapitalstocks, der erst später potenzialwirksam werden wird.

Unklar ist auch, wie sehr eine steigende Regulierungsdichte – etwa zunehmende Berichtspflichten für Nachhaltigkeitskriterien, Lieferkettenüberwachung und Taxonomie-Vorgaben – auf die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit durchschlägt. Wie bei anderen wichtigen Standortfaktoren – etwa den Energiekosten – ist hierfür nicht nur die zeitliche Entwicklung hierzulande bzw. im europäischen Binnenmarkt ausschlaggebend, sondern die Entwicklung relativ zu den Bedingungen in der übrigen Welt.

Neben all diesen schwer zu quantifizierenden Einflüssen auf das Produktionspotenzial bestehen konjunkturelle Risiken. Hierbei treten neben weltwirtschaftliche Unwägbarkeiten auch binnenwirtschaftliche Risiken. So ist unsicher, ob sich die hohen Krankenstände wie unterstellt im Verlauf des Prognosezeitraums zurückbilden. Gelingt dies rascher, könnten Engpässe am Arbeitsmarkt schneller überwunden werden und so früher mehr wirtschaftliche Dynamik entstehen. Freilich ist auch denkbar, dass die erhöhten Krankenstände noch länger andauern als in dieser Prognose angenommen. Ferner ist der hohe Auftragsbestand in der Industrie bislang nicht im erwarteten Maße produktionswirksam geworden. Sollten von dieser Seite doch noch stärkere Impulse ausgehen, könnte die Erholung etwas rascher einsetzen bzw. stärker ausfallen als hier unterstellt. Schließlich lastet die Politikunsicherheit weiterhin auf der Investitionstätigkeit. Sollte rasch Klarheit über den wirtschaftspolitischen Kurs herrschen, könnte sich der Attentismus bei den Unternehmen abschwächen und die Investitionstätigkeit schneller Tritt fassen.

Wirtschaftspolitisch empfehlen die Institute eine behutsame Reform der Schuldenbremse. Im Grundsatz unterstützen sie den von der Deutschen Bundesbank vorgelegten Vorschlag und regen an, nach einer gesamtwirtschaftlichen Notlage, für die die Ausnahmeklausel aktiviert wurde, den Übergang zur regulären Defizitbegrenzung nicht länger abrupt, sondern stufenweise erfolgen zu lassen. Eine solches regelgebundenes Wiederscharfstellen trüge den ökonomischen Nachwehen adverser Schocks Rechnung und würde auch über eine bessere Vorhersehbarkeit der Finanzpolitik stabilisierend wirken. Zudem könnten Budgetpositionen, die während der energetischen Transformationsphase an Gewicht gewinnen (CO2-Abgaben, EEG-Subventionen), in dem Maße im Konjunkturbereinigungsverfahren berücksichtigt werden, wie sie sich als konjunkturreagibel erweisen. Dies würde die automatischen Stabilisatoren stärken. Auch wenn damit maßvolle Modifikationen der Schuldenbremse sinnvoll erscheinen, hängen Wohl und Wehe des Standorts Deutschland aus Sicht der Institute nicht davon ab. Insbesondere zeigt sich kein systematischer Zusammenhang zwischen der Fiskalregel und dem staatlichen Investitionsgebahren.

Wichtiger als eine Ausweitung der gesamtstaatlichen Verschuldungskapazität wäre eine Neugestaltung der Finanzverfassung (Förderalismusreform III). Diese müsste zum Ziel haben, die kommunalen Investitionen, die gut 40% der gesamten öffentlichen Investitionen ausmachen, von kurzfristigen Haushaltsnöten abzuschirmen und die konjunkturellen Schwankungen nur bei Bund und Ländern durchschlagen zu lassen. Die Einnahmen der Kommunen ließen sich etwa durch einen Hebesatz auf die Einkommenssteuer anstelle der Gewerbesteuer weniger konjunkturreagibel gestalten. Damit eine solche durchgreifende Finanzreform nicht an den fiskalischen Unwägbarkeiten einzelner Haushaltsjahre scheitert, sollte bei ihrem Inkrafttreten übergangsweise eine Ausnahme von der Schuldenregel zugelassen werden.

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